Eine Gespenstergeschichte von der
Deponie
Wir alle kannten Emil. Er gehörte zu jenen Leuten, die wir
die „dritte Schicht“ nannten. Dies waren Menschen ,die nach Feierabend auf die
Schüttfläche kamen und aus den abgeladenen Abfällen brauchbares oder
Verkaufbares(wie z.B. Buntmetalle) heraussuchten. Das war in jenen Tagen, als
Handablader noch „Oben“ entsorgten und Haushaltsauflösungen dort hin kamen. Lang
ist ´s her.
Natürlich waren diese Leute nicht erwünscht. Da man sie aber
auch nicht abhalten konnte, wurden sie geduldet, solange sie abwarteten, bis LKW
und Maschinen nicht mehr auf dem Berg waren.
Emil, wie gesagt ,war einer von ihnen. Doch irgendwann halt,
war diese Zeit vorbei. Die Handablader luden unten auf der Recycling-Station ab,
und oben kam nichts mehr an, was sie gebrauchen konnten.
Da Emil aber obdachlos war und Deponieleute nun mal
besonders soziale Menschen sind, gestattete man ihm, sich in jenem alten
,hölzernen Bauwagen einzuquartieren, der als Erinnerung an jene Zeiten noch auf
dem Altberg stand .
Regelmäßig kam er herunter, füllte seinen Wasserkanister,
führte ein Pläuschchen und bekam etwas zu Essen und ging wieder nach Oben, wo
er ab und zu auch vom Deponiepersonal besucht wurde.
Eines Tages war er verschwunden. Der Bauwagen war leer. Emil
war nicht mehr aufzufinden. Man suchte den Berg ab ,ja sogar die Polizei kam mit Hunden
,doch er war nicht aufzufinden. War er Oben irgendwie gestorben und sein Körper
von den Tieren gefressen worden? Wir nahmen es an.
So vergingen einige Jahre, und Emil geriet etwas in
Vergessenheit. Das Leben ging weiter und die Zeiten änderten sich. Aber dann
begannen sich merkwürdige ,unheimliche Geschehnisse zu häufen.
Es begann bereits in jener Zeit ,als es noch eine Nachtwache
durch einen privaten Wachdienst gab. Immer wieder berichteten Wächter von einer
bläulich schimmernden menschlichen Gestalt, die auf dem Waschplatz am
Wasserhahn stand und einen Kanister füllte. Dann wieder wollten vorbeifahrende
Passanten sie auf der Recycling-Station ,auf dem Berg und in der Kompostierung
gesehen haben. Dann wollten die Anlieger im Blockland von ihren Gärten aus jene
Gestalt im Biotop gesehen haben.
Natürlich suchte man die Deponie ,samt Kompostierung ab. Hauste
da oben jemand ohne Genehmigung oder erlaubte sich jemand einen schlechten
Scherz? Doch nirgendwo war auch nur ein Anhaltspunkt zu erfahren.
Dann begannen wir morgens auf dem Recyclinghof, das neben den
Altmetallbehältern fein aufgeschichtet, Buntmetalle, wie Aluminium, Kupfer
,Messing ,Blei lagen, obwohl wir Abends aufgeräumt hatten ,und zu Feierabend
garantiert nichts dort lag. Dann lagen neben den Restmüllbehältern oder den Elektrogerätebehältern,aussortierte
Gegenstände ,die Abends vorher nicht dort gelegen hatten. Auch nachdem es ,Alarmanlagenbedingt
keine Nachtwache mehr gab. Und niemand der Spätschicht hatte jene Gegenstände
dort gelassen.Darüber hinaus gab es weiterhin Berichte von der Gestalt die nachts auf –oder um den
Berg gesehen wurde, und regelmäßig Wasserlachen unter dem Hahn auf dem Waschplatz ,obwohl
niemand ihn betätigt hatte, als wenn jemand regelmäßig Wasser abzapfte. Doch fand
man nichts. Keinen Menschen und keinen Hinweis Auf einen Menschen.
Mittlerer Weile war es Herbst und ging auf Winter zu und der
„Spuk auf dem Müllberg“ war bereits Tagesgespräch. Die Tage wurden kürzer Es
wurde bereits gegen 16:00 Uhr dunkel.
Ich hatte Spätdienst, und als Schadstoffannehmer war ich
auch der „Schliesser“, der die Türen überprüfte und die Alarmanlage in Betrieb
setzte. Ich war der letzte auf dem Platz. Die andern waren schon unter der Dusche,
oder nach Hause .Es war bereits Stockdunkel, der Hof von Laternen notdürftig
beleuchtet. Ich ging noch einmal alles ab, und dann hörte ich es: Da klapperte
doch was! Es kam vom Metallbehälter .Ich ging nachsehen, und dann sah ich ihn/es:
Da auf dem Aufgang stand eine menschliche Gestalt, die von einem bläulichen
Schimmer umgeben war. „Hallo“, rief ich ihm zu „Es ist längst Feierabend ,sie
müssen gehen“ Er reagierte nicht. Ich ging näher heran. “ Hallo“, wiederholte
ich „haben sie mich nicht verstanden? Es
ist…“ Die Gestalt drehte sich zu mir um, und mir stockte der Atem. „Emil?“, fragte
ich ungläubig. Er hob den Zeigefinger an seine Lippen, als wenn er mir bedeuten
wollte den Mund zu halten, dann wandte er sich um, griff sich ein Bündel Aluminiumschienen,
das neben ihm lag, glitt den Aufgang hinab und verschwand hinter den Container.
Einen Moment lang sah ich ihm verdattert nach, dann lief ich
los, bis hinter den Behälter und sah - Nichts! Zumindest nicht Emil. Dafür lag, neben
anderen Teilen, das Alu-Bündel.
Unsicher sah ich mich um. Da war nichts mehr. Ich ging mich
umziehen und Feierabend machen. Vielleicht war ich auch nur überspannt, obwohl
das Metall? Als ich meinen Roller zum Tor hinausgebracht hatte,und die Pforte abschließen
wollte, sah ich noch einmal nach Oben, und da, neben der Schredder-Halle auf
der Aussichtsplattform- War da nicht ein bläuliches Schimmern? Menschliche Umrisse?
Nein, nein, ich machte, das ich weg kam.
Am nächsten Morgen besprach ich das Ganze mit meiner
Vorgesetzten, zeigte ihr das Metall.
„Da muss sich doch jemand einen Jux machen", meinte sie .Zum
X-ten Male wurde das Gelände durchsucht , und zum X-ten Male nichts gefunden.
Da beschlossen wir ,das wir am nächsten Abend gemeinsam Wache
halten wollten. Wir, das waren meine
Referatsleiterin ,ich, und ein weiterer Kollege. Sie hatte für ihre Tochter eine
Regelung gefunden ,und so waren wir jetzt gemeinsam hier in der Dunkelheit des
Abends. Wir inspizierten den Recyclinghof und den Berg ,aber nichts war zu
sehen. Doch alles nur Einbildung?
Wir beschlossen noch über den Maschinenhof zu gehen, und gingen
an der halbrunden Werkstatthalle entlang, als wir ein lautes Plätschern hörten.
“Das kommt doch vom Waschplatz.“, rief ich, und wir liefen dort hin, und dort
war er: Emil, wie er gelebt hatte, von bläulichem Schimmer umgeben, stand am
Wasserhahn und hielt einen Kanister unter den Wasserstrahl ,der hindurch zu
fließen schien.
Er schien uns nicht zu bemerken. Irgendwann, als er glaubte
den Kanister gefüllt zu haben, drehte er den Wasserhahn zu ,und einen Deckel
auf den Kanister. Jetzt richtete er sich auf, und sah uns der Reihe nach an. Meine
Vorgesetzte zuletzt. “Emil“, rief diese mit vor Staunen aufgerissenen Augen „Wir
dachten, du bist tot!“
Er sah sie an, und hob ,wie schon bei mir, den Zeigefinger
an die Lippen. Dann wandte er sich um und schritt ,seinen Kanister tragend, schnell
über den Hof, durch das Tor, und den Berg hinauf. Wir liefen ihm nach und
konnten noch sehen, wie um die Ecke in den Canon verschwand. “Und was machen wir
jetzt?“, fragte ich. „Weiß ich auch noch nicht“ ,sagte sie „Erstmal nach Hause gehen und
drüber schlafen“ Das taten wir .Als wir aus dem Betriebsgebäude traten und die
Alarmanlage scharf schalteten, rief der Kollege: „Seht mal da Oben!“ Wir sahen
hinauf ,und da auf der Aussichtsplattform stand er ,deutlich zu sehen, blau-weiß
schimmernd, reglos, wie ein Wächter, und schien auf uns herab zu sehen.
Es vergingen weiter Tage, und die unheimlichen Geschehnisse
und Beobachtungen gingen weiter ,doch irgendwie begannen wir uns an unseren „Berggeist“
zu gewöhnen.
Einige Zeit später,
wurden bei Bauarbeiten im Altteil der Deponie menschliche Knochen gefunden, die
schließlich ein ganzes Skelett ergaben. Anhand des Gebisses konnte der Tote als
Emil identifiziert werden. Der Schädel wies eine Fraktur auf, und im
Zusammenhang mit einem braunen Fleck auf einem großen Stein, der an dessen Fundort
lag, kam man zu dem Schluss, das Emil einem Unfall zum Opfer gefallen war. Er musste
mit dem Kopf auf den Stein gestürzt sein, der zu groß war ,um als Schlagwaffe
benutzt zu werden, und sich dabei den Schädel gebrochen haben. Unbemerkt war
sein Leichnam da Oben im Dickicht liegen geblieben, und den Rest hatte die
Natur erledigt.
Nach diesem Fund hörten die unheimlichen Geschehnisse auf. Es
lag kein Metall noch andere Gegenstände neben den Containern, keine
Wasserlachen auf dem Waschplatz mehr. Doch schon wenig später sah man wieder
jene bläuliche menschliche Gestalt auf dem Berg, und auch ich sah ihn .Reglos
oben stehend und herunter blickend. Und so kann man ihn jetzt noch, sogar von
der Autobahn sehen
Emil ist jetzt unsere „Dritte Schicht“.