„Kommt, nach Oben“, sagt Martin, und man hört den Kloß in
seinem Hals „Und dann rufen wir die Polizei.“
Unsicher gehen wir wieder hoch. Oben im Erdgeschoß fischt
Martin sein Handy aus der Tasche und tätigt den schon angekündigten Anruf.
Wenig später wimmelt es im Haus von Polizei,
Kriminaltechnikern und der Gerichtsmedizin. Sie haben Scheinwerfer mitgebracht,
die alles in etwas grelles Licht tauchen. Da wir angewiesen wurden, auf die
Kripo zu warten, die eventuell noch Fragen an uns hätte, haben wir uns im Salon
ein Paar der alten Sitzmöbel frei gemacht, und warten hier.
Es dauert beinahe eine halbe Stunde , bis ein kleiner,
hagerer Mann den Salon betritt, der mit seinem schäbigen hellen Trenchcoat, den
dunklen Haaren, und den aufmerksamen, leicht schielenden blauen Augen
frappierend an Columbo erinnert.
Er stellt sich als Hauptkommissar Lohmann von der Kripo
Bremen vor.
„Sie haben also die Leiche da unten aufgefunden. Darf ich fragen,
was sie hier in diesem Haus gesucht haben. Sie wohnen ja sicher nicht hier“
Wir sehen kurz einander an, dann beginnt Martin zu
schildern, was uns hierher geführt hat.
„Hanseaten- Columbo“, wie ich ihn innerlich getauft habe,
hört aufmerksam zu, wobei sich sein Mund zunehmend öffnet. Schließlich nickt
er, und man sieht ihm das ungläubige Staunen an.
„Nur das ich das richtig verstehe. Sie haben also diesen
Zettel in einem Buch gefunden, der sie auf die Spur eines über Fünfzig Jahre
zurück liegendes Verbrechen geführt hat, und haben hier nach spuren gesucht?
Das klingt nach ´nem spannenden Roman. Aber gut, nehmen wir an, das ist die
Wahrheit, haben sie was gefunden.“
„Ja, die Leiche“, gebe ich lakonisch zurück, „Aber ansonsten
nichts. Lässt sich schon sagen wer der oder die Tote ist?“
„Es ist ein Er“, gibt der Kommissar zurück. Eigentlich
sollte ich ihnen das nicht sagen, aber
an einem mord gibt es wohl keine Zweifel. Der Gerichtsmediziner meint,
er ist schon ein paar Monate tot. Die besondere Luft im Keller hat den Verwesungsprozess
verlangsamt.
Was interessant ist: Sein Gesicht wurde zerschlagen, das
Gebiss zertrümmert, und die Fingerkuppen abgeschnitten. Der Mörder wollte
offenbar die Identifizierung verhindern. So ist alles, was man bis jetzt sagen
kann, das es sich um einen Mann zwischen Sechzig und Achtzig Jahren handelt. Wir
werden also zunächst einmal die Vermisstendatei durchgehen müssen.“
„Leider können wir ihnen da auch nicht weiter helfen“, sagt
Martin „haben sie sonst noch Fragen?“
„Für´s Erste nicht mehr. Sie müssten der KTU aber noch
Fingerabdrücke und Speichelprobe geben, zu Vergleichszwecken, weil sie ja ohne
Zweifel spuren hier im Haus hinterlassen haben, und wir hier erstmal alles
gründlich durchsuchen müssen.“
Wir befolgen also, was Hanseaten- Columbo gesagt hat, geben
den KTU- Mitarbeitern, was sie brauchen, und gehen.
Draußen vor dem Haus klingelt Martins Handy. Er nimmt ab,
meldet sich, und hört ein paar Minuten zu, dann sagt er:
Moment, Moment mal Fred, ganz ruhig! Komm erst mal
runter…Aha, Heute Abend noch? Nein du hast Recht. Ich bring ´eben meine Freunde
nach Hause, dann komme ich.“
„Was ist?“, fragt Adele
„Das war Fred, mein Freund bei der Zeitung. Er hat noch ein
paar Recherchen zur Familie Dijsterkamp angestellt, und ist auf etwas gestoßen.
Er meint, wenn das stimmt, was er herausgefunden hat, könnten wir da etwas
unfassbaren auf die Spur gekommen sein. Er will sich noch Heute Abend mit mir
treffen. Ich bring euch jetzt nach Hause, und dann fahr ich hin. Ist besser,
wenn ich allein hin gehe. Ich geb´ euch dann Bescheid.“
Es dauert bis Montagabend, bis wir wieder von Martin hören.
Den Tag verbringe ich auf der Arbeit. Wieder Spätschicht. Die Arbeit in der
Schadstoffannahme geht relativ gut von der Hand, oder ginge, wenn ich nur nicht
so nervös und fahrig wäre. Das fällt auch Rosi auf, die mich schließlich
anspricht. Ich beschließe also ihr die ganze vertrackte Geschichte zu erzählen,
von der Tagebuchseite bis zum auffinden der Leiche. Sie hört mit großen Augen zu,
und sagt dann:
„So, du spielst also in deinem Urlaub Detektiv. Nur wenn
jetzt Leichen auftauchen, wird es doch gefährlich. Vielleicht wäre jetzt der
richtige Zeitpunkt auszusteigen.“
Irgendwie kann ich ihr nicht widersprechen. Es stellt sich
allerdings die Frage, ob es jetzt noch möglich ist, aus der Sache raus zu
kommen.
Gegen Sechzehnuhrdreissig bekomme ich dann eine SMS von
Martin:
Bin erst jetzt in der
Lage dazu. Fred ist tot .Ermordet. Jemand hat ihn über den Haufen gefahren.
Laut Gerichtsmediziner ist er nochmals Rückwärts über ihn gefahren. Als ich am
Treffpunkt ankam, war schon tot. Müssen uns die Tage noch mal sehen, und
bereden, ob wir überhaupt noch weiter machen .passt auf euch auf!
Ich habe das Gefühl, das mir der Boden unter den Füssen weg
gezogen wird. Mir ist schwindlig, und ich versuche mich aufrecht zu halten. So
schlecht ist mir. So bleibe ich erst mal
am Schreibtisch im Arbeitsbereich sitzen.
Ich atme ein paar Mal tief durch, dann erhebe ich mich, und
gehe hinaus. Auf dem Annahmetisch hat jemand eine Schachtel abgestellt, die ein
braunes Glas enthält. Das Totenkopf-Zeichen die Warnung:„giftig“ klebt auf der
einen Seite. Auf der anderen ein Etikett mit der Aufschrift: Kaliumcyanid“
Oha, etwas besonders gefährliches .hochgiftig. Nicht mit
Säure zusammen kommen lassen, sonst wird Blausäuregas frei gesetzt. Als ich das
glas in die Schachtel zurück stecken will, stelle ich fest, das sich noch ein
Zettel darin befindet. Ein Beipackzettel? Lesen
sie die Packungsbeilage…, kommt mir in den Sinn. Ich falte den Zettel auseinander, und bekomme zum zweiten Mal weiche Knie. Ich lasse mich auf den
Schreibtischstuhl zusammen, lege den Zettel auf den Schreibtisch, und lese noch
einmal fassungslos:
Lassen sie die
Vergangenheit ruhen, oder soll noch Jemand sterben?...