I
„Ah, verflixt“, sagte
der Mann am Schreibtisch, der Anfang vierzig , gut 1,80m groß und schlaksig
war, und dunkelbraunes Haar hatte, das hier und dort von grauen Strähnen
durchzogen war. Missmutig hielt er eine ausgefallene Krone in der Hand, und
betrachtete sie aus seinen grünen Augen. „Tja, nützt nichts, da muss ich wohl
mal zum Zahnarzt.“, murrte er.
Im selben Moment klopfte es an der Tür. Ein stämmig
gebauter, blonder Junger Mann, Ende Zwanzig, Kriminalmeister Fabian Born, öffnete
sie und trat ein.
„Herr Kommissar, wir müssen zum von Hamm-Anwesen.Der alte
von Hamm ist erschossen worden. Wir sollen sofort kommen. Der Herr Staatsanwalt
ist auch schon da, obwohl es so aussieht, als hätten sie den Mörder schon, aber
wir sollen uns die Sache trotzdem mal ansehen. Bei der Prominenz des Opfers
will man ganz sicher sein“
„Ende der Mittagspause und mit dem Zahnarzt wird´s wohl auch nichts“,
meinte Kommissar Finn Hansen mit einem seltsamen Gefühl der Erleichterung.
Albrecht, Baron von Hamm,
78 Jahre alt, war Angehöriger einer alt eingesessenen Adelsfamilie, die etwas
außerhalb von Helmburg ein Jagdschloss bewohnte. Es handelte sich um eine, im
Harz bekannte, Familie, die eine Schnapsbrennerei unterhielt und einen
renommierten Handel mit Wild-Produkten betrieb, die sich ein normal-
Sterblicher nicht leisten konnte. Ihr gehörten außerdem noch einige Ländereien.
Der Weg führte die beiden Beamten, hinter der Ortschaft links
in einen Waldweg hinein, der auf einen Hügel führte, auf dem das Hammsche
Anwesen stand.
Sie stellten ihr Fahrzeug vor dem Haus ab, vor dem schon
Polizei-Fahrzeuge standen, und wurden von einem steifen Diener nach Oben
geführt, zu den Wohnräumen des getöteten Hausherrn.
Als sie eintraten, sahen sie den Toten, dessen Brust eine
Wunde aufwies, welche über die Todesursache
keine Zweifel lies. Blut war daraus auf sein Hemd gesickert. Die Kugel
war ihm direkt ins Herz gedrungen. Was das ganze Bild jedoch unheimlich und
irgendwie grotesk wirken lies, war die Tatsache, das der Tote –lächelte! Ja, er
lächelte. Man konnte es nicht anders sagen, und das Lächeln wirkte irgendwie
selbstzufrieden und, ja, diabolisch.
Staatsanwalt Dr. Scholl kam auf sie zu, und reichte ihnen
die Hand. Er war ein mittelgroßer Mann, Ende Fünfzig mit grauem Haarkranz und
Bauchansatz. Sein rundes, massiges Gesicht war stark gerötet.
„Guten Morgen. Schön, dass sie gleich kommen konnten. Ja,
keine schöne Sache. Sie sehen ja selber, er wurde erschossen. Der mutmaßliche
Täter sitzt übrigens nebenan.“
„Und woher wissen sie, dass er es war?“, wollte Hansen
wissen.
„Ja, er wurde hier bei der Leiche angetroffen, die Waffe
noch in der Hand. Es handelt sich um seinen Neffen, äh. Phillip von Hamm. Sein Onkel hatte ihn Heute Vormittag um Elf
Uhr zu sich eingeladen und mit ihm Kaffee getrunken. Um kurz nach Zwölf Uhr Dreißig,
wollte der Diener das Mittagessen
servieren, das der Alte hier Oben einnehmen wollte, und fand den Alten tot ,sowie den jungen Mann schläfrig und verstört mit der Waffe in der Hand“
Hansen kniete sich neben den Toten und untersuchte ihn.
„Da sind Versengungen um die Wunde. Die Waffe muss beim
Schuss also sehr nahe gewesen sein. Gibt es Anhaltspunkte das er bewusstlos
war, als er erschossen wurde?“
„Nein, keinerlei Anzeichen, allerdings steht die Obduktion
noch aus.“, meinte der Staatsanwalt mit leicht erstaunter Mine
„Ist das wichtig?“
„Nun, er würde
jemanden mit einer Waffe doch nicht so nahe an sich heran lassen, und der
Mörder wäre doch nicht so nahe an ihn heran kommen,und hätte riskiert von ihm
entwaffnet zu werden. Er hätte ihn doch auch aus der Distanz erschießen können. Das
ergibt irgendwie keinen Sinn.“
Der Staatsanwalt nickte
„Dann können sie Phillip ja fragen, wenn sie ihn vernehmen.“
„Ja, aber vorher möchte ich mich in der Wohnung umsehen, um erstmal
das Opfer näher kennen zu lernen. Ich werde den Eindruck nicht los, das der
Mann selbst der Schlüssel zur Aufklärung seines Todes ist.“
Die Einrichtung der Wohnung entsprach dem Jugendstil. Hansen
lies den Blick durch den Salon schweifen. Den Tisch ,auf dem noch ein
Kaffee-Geschirr stand, von dem zwei Tassen benutzt waren. Dahinter ein
Sideboard.An der anderen Wand ein Sofa.
Vom Fenster, das Links und Rechts mit schweren Vorhängen versehen war, auf der
anderen Seite fiel Sonnenlicht herein. Zwischen dem Tisch und dem Sofa lag der Tote, der jetzt abtransportiert war. Dicht bei ihm, lag ein Seidentuch. Hansen
bückte sich, und hob es auf.
„Gehörte das dem Hausherrn?“, fragte er den Staatsanwalt.
„Weiß nicht, da müssen sie den Diener fragen, diesen…Edgar,
Edgar Jente.“
„Werd´ ich tun, aber vorsichtshalber sollte das hier ins
Labor.“
Er übergab es einem Mann von der Kriminaltechnik.
Als nächstes sah er sich das Arbeitszimmer an. Es war nichts
besonderes .Ein wuchtiger Schreibtisch, hinter dem ein Leder-bezogener
Chef-Sessel stand. Dahinter in der Ecke ein Tresor. Der Schreibtisch war auf
die übliche Weise eingerichtet. Der Computer passte vielleicht nicht dazu.
Rechts oben stand ein Eingangs-Schuber, auf dem ein Packen Briefe lag. Hansen
nahm ihn auf, und betrachtete die Umschläge. Meist geschäftliche Post, wie es
schien, darunter ein gelber Umschlag, der an einen Anwalt gerichtet schien. Er
legte sie wieder hinein.
Dann sah er sich das Ankleidezimmer und das daran grenzende
Badezimmer an. Auf dem Regal neben dem Spiegelschrank fand er einige
Medikamenten –Packungen. „Morphin“, las er. „Interessant, mal mit dem Arzt
sprechen“, murmelte er, und steckte das Fläschchen ein. Weiter fand er ein
Röhrchen mit einem starken Beruhigungsmittel, und eine Packung mit einem
Wirkstoff namens Trametinib. Er steckte es auch ein, und nahm sich vor den Arzt
des Toten so Bald wie möglich aufzusuchen.
Fabian Born hatte sich derweil das Wohnzimmer angesehen, und
nichts Besonderes gefunden.Gemeinsam betraten sie nun die Bibliothek. Auch hier
nichts, was von Bedeutung sein könnte. Mehrere hohe Regale voller alter Bücher,
darunter auch alte Kriminalromane , so wie eine Sammlung der Werke Edgar Allan
Poes. Sie gingen zurück in den Salon, wo nun Phillip von Hamm auf dem Sofa saß,
und sie verwirrt ansah. Neben ihm saß der Staatsanwalt. Neben der Couch stand
ein Polizist. Von Hamm sah allerdings nicht so aus, als er ob er Lust hätte zu
fliehen.
Hansen zog sich einen Stuhl vom Tisch heran, und setzte sich
zu ihm. Born tat es ihm nach.
Er wirkte viel mehr, wie ein kleines Häufchen Elend. Er war
mittelgroß und schlank, fast schon schmächtig, hatte ein schmales, bleiches
Gesicht mit nervös blickenden, grauen Augen, und zurück gekämmtes dunkelblondes
Haar.
„Herr von Hamm, ich bin Kommissar Hansen, mein Assistent,
Kriminalmeister Born, und
Herrn Staatsanwalt Dr. Scholl kennen sie ja schon.“
Der Angesprochene nickte uns nur zu.
„Ich ermittle im Tod ihres Onkels, und möchte sie nun
bitten, mir zu erzählen, was sich aus ihrer Sicht Heute Vormittag zugetragen
hat.“
„Nun ja, nach dem Frühstück sprach mich Onkel Albrecht an,
ich solle um Elf zu ihm kommen. Genau genommen hatte er mich schon zum Frühstück her bestellt.Das tat ich. Er servierte Kaffee, und sagte, er
wolle sich mit mir versöhnen, und mir für die Ehe mit Lena den Segen geben, den
er bisher verweigert hatte.Danach gibt es einen Blackout. Ich erinnere mich
erst wieder, dass ich mit der Waffe in der Hand auf dem Boden saß, mein Onkel
tot vor mir. Da kam auch schon Edgar herein. Edgar ist sein Leibdiener.“
„Sie sagten, er wollte sich versöhnen. Lebten sie denn im
Streit?“
Der junge Mann sah dem Kommissar jetzt offen ins Auge
„Es war erstaunlich, das er sich überhaupt versöhnen wollte,
denn wissen sie, Onkel war eigentlich ein ziemlich übler Mensch. Er liebte es,
Macht über uns zu haben, unser Leben zu bestimmen, und ja, uns zu demütigen. Immer
lies er uns die gewisse finanzielle Abhängigkeit von ihm spürt, und drohte
jedem mit Enterbung, der nicht spurte. Er war ein echter Tyrann. Grade vor
diesem Hintergrund überraschte mich sein Versöhnungsangebot, zumal meine
Hochzeit mit Lena, also Lena Holzek so
ein schwerer Schlag für ihn war.“
„Er war also gegen die Hochzeit?“
„Er hat mit allen Mitteln versucht, sie verhindern, daher
vollzogen wir sie heimlich. Sie machte mich nämlich unabhängig von ihm. Sie
müssen wissen, das Lenas Vater eine Sägemühle und einen Holzhandel besitzt, und
mich zu seinem Junior -Partner gemacht
hat, da er außer seiner Tochter, der die Hälfte des Betriebes gehört, und die
seine Universal-Erbin ist, keine Kinder hat.“
„Demzufolge hatten sie eigentlich keinen Grund, ihn zu
töten.“
Phillip lachte bitter
„Nein, wohl eher umgekehrt.“
„Nun gut, das war ´s für´s erste, danke. Herr Staatsanwalt,
solange er hier bleibt, würde ich auf eine Untersuchungshaft verzichten
wollen.“
„Der Staatsanwalt überlegte kurz, und nickte dann.
„In Ordnung, aber sie haben sich einmal am Tag bei uns zu
melden, Herr von Hamm.“
Von Hamm nickte nur.
Als nächstes hätte ich gern mit dem Diener gesprochen,
diesem Herrn Jente. Der Diener wurde gerufen, und erschien kurz darauf. Edgar
Jente war ein hoch gewachsener älterer Mann um die Sechzig, mit Kurz
geschnittenem schwarzgrauem Haar, einer hohen Stirn, einer Adlernase, mit einem
schmalen Schnurrbart darunter, und
blauen Augen. Seine Haltung war würdevoll, und steif. Er erinnerte stark an das
Klischee vom englischen Butler.
„Herr Jente, Hansen, Kriminalpolizei, mein Assistent Born. Darf
ich fragen, wie lange sie schon für Herrn von Hamm arbeiten?“
Der Diener zog die Brauen hoch, als empfinde er diese Frage
als Beleidigung.
„Meine Familie hat
seit Vier Generationen die Ehre den von Hamms dienen zu dürfen. Ich selber bin
seit gut dreißig Jahren in diesem Haus beschäftigt.“
„Und waren sie mit ihrer Herrschaft, speziell Albrecht von
Hamm, zufrieden, oder gab es Schwierigkeiten?“
„Er war sicher kein einfacher Charakter, und hin und wieder
gab es auch Konflikte, aber keine, derentwegen ich ihm den Tod wünschen würde.“
Er zog wieder die Brauen hoch.
Hansen lächelte.
„Oh, ich verdächtige sie keineswegs Nun. sagen sie mir,was Heute Vormittag
passierte.“
„Nun, das Frühstück verlief normal, da war der gnädige Herr
auch dabei. Das Mittagessen wünschte er oben in seinem Salon einzunehmen. Ich
frage nie nach dem Grund für solche Marotten. Dann befahl er um elf Uhr Kaffee
zu servieren, was ich tat.Genau genommen war ich kurz vor Elf da. Sein Neffe
war noch nicht anwesend. Ich servierte den Kaffee, fragte, ob es noch einen
Wunsch gab, und entfernte mich, als Herr von Hamm verneinte.
„Hörten sie zwischendurch etwas?“
„Da war zwischendurch so etwas wie ein Knall, aber ich dachte,
da war etwas umgefallen.Es gibt so viele Geräusche in so einem alten Haus.“
„Und dann servierten sie das Mittagsessen, und fanden den
Toten. Wie und wann war das genau?“
„Da gibt es nicht viel zu sagen.Es etwa Halb Eins Ich kam herein, der gnädige
Herr lag tot auf dem Boden. Davor saß, oder stand halb Herr Phillip, und sah
mich verwirrt an. Er hielt die Waffe in der hand, weshalb ich erst in Deckung ging.Aber
dann brach er wieder zusammen, und blieb kauernd sitzen, und lies sich die
Waffe aus der Hand nehmen.“
„Würden sie ihm einen Mord zutrauen?“
„Eigentlich nicht. Er hat nicht das Gemüt für einen Mord.
Ist eigentlich mehr ein sanftmütiger und wenig entschlossener
Mensch, aber man kann natürlich nicht in den Kopf eines Menschen hinein sehen."
„Ja, das ist richtig. Sagen sie, wer wohnt noch in diesem
Haus?“
„Nur seine drei Kinder, seine Frau ist vor Acht Jahren
gestorben. Da wäre zunächst der Älteste Paul, 42 Jahre alt. Er leitet ein
Gestüt, und ist passionierter Jäger und Vorsitzender des hiesigen
Schützenvereins, dann sein Bruder Bernd, zwei Jahre Jünger, leitet die
Schnapsbrennerei. Ja und Corinna, sie ist 36, und Vorsitzende des
Aufsichtsrates der Unternehmensgruppe. Man sagt ihr ein Verhältnis mit dem Sohn
des Bürgermeisters nach. Na ja ,und dann noch die Dienstwohnungen von mir , der
Köchin ,und den beiden Zimmermädchen“
„Finde ich die anderen jetzt hier im Haus?“
„Ja, sie dürften alle anwesend sein. Wenn sie nicht in ihren
Räumen sind, dann sind sie sicher im Garten.“
„Noch eine Frage: Wer war der Hausarzt von Herrn von Hamm?“
„Herr Dr. Heinholz. Hat seine Praxis an der Hauptstrasse in Helmburg“
„Gut, das wär´ s
für´s Erste, vielen Dank“
Der Diener wurde entlassen und ging. Hansen dachte nach.
„Je mehr ich höre, desto weniger Sinn ergibt es, das Sein
Neffe ihn getötet haben soll.“
Sie verließen den
Salon, der versiegelt wurde, und gingen nach unten, durchschritten den
Wohnraum, und gingen zur Terassentür .Draußen im Garten, an einem Tisch, unter
einem Sonnenschirm Sassen zwei Männer und eine Frau. Ihre Gesichtszüge ähnelten
einander, und gleichzeitig fand man in jedem auch die Züge des Toten.
„Guten Tag, ich möchte sie nicht lange stören. Finn Hansen,
Kriminalkommissar, mein Assistent Fabian Born.“
Sie setzten sich, ohne gefragt zu werden, aber bevor der Kommissar
beginnen konnte zu reden, sagte, der ihnen am nächsten sitzende:
„Sie brauchen nicht zu erwarten, dass wir traurig sind, dass
das Aas tot ist. Wir empfinden seinen Tod eher als Erleichterung.“
„Ja, ich habe schon gehört, wie er ihnen mitspielte, und kann
mir vorstellen, dass er bei ihnen nicht sonderlich beliebt war. Sie sind
übrigens…?“
„Paul von Hamm“, sagte der blonde Mann mit dem kantigen
Gesicht „Das mein Herr wäre eine riesengroße Untertreibung. Er war ein
Diktator, der uns alle unterdrückt hat. Hätte wir die Möglichkeit gehabt, von
ihm unabhängig zu werden, dann wären wir sicher schon weg gewesen.“
„Tja, und jetzt nach seinem Tod erben sie. Wo waren sie
übrigens zwischen Elf und Zwölf Uhr Dreißig?“
„In meinem Arbeitszimmer im Zweiten Stock. Leider war niemand
dabei, der das bestätigen kann.“
Hansen wandte sich an den zweiten Mann, der seinem Bruder
sehr ähnlich sah.
„Und sie müssen dann Bernd sein. Wo waren sie in der Zeit?“
„In der Brennerei, das kann der Brennmeister bestätigen. Vor
einer halben Stunde bin ich zurück gekommen.“
Der Kommissar wandte sich der zierlichen Frau zu, die ihr
blondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, elegant gekleidet war, und
zerbrechlich wirkte.
„Ich war im Garten, und habe Rosen geschnitten. Wir haben
zwar einen Gärtner, aber die Rosen sind mein Heiligtum“
„Verstehe, und sie waren allein?“
„Ja leider,. Wenn ich gewusst hätte, das ich einen Zeugen brauche,
hätte ich sicher jemanden mit genommen.“
Hansen lächelte
„Schon gut, aber sie werden verstehen, dass wir alles gründlich
untersuchen müssen.“
„Ja, aber haben sie nicht Vetter Phillip fest genommen?“,
wollte Paul wissen.
„Nein, haben wir nicht. Es ist richtig, das er am Tatort mit
der Waffe angetroffen wurde, aber es gibt noch ein paar Ungereimtheiten“
„Er wird am Tatort mit der Waffe angetroffen, und trotzdem
gibt es Ungereimtheiten?“
„Tja ungewöhnlich, nicht? Aber ich melde mich bei ihnen,
wenn wir mehr wissen. Für jetzt verabschieden wir uns."
Als sie Auto saßen, meinte Hansen: “Ich denke, wir haben
noch Zeit, zu Phillips Frau zu fahren, dieser Lena Holzek“
Das Holzek´sche
Anwesen lag nicht weit entfernt, am selben Waldweg. Lena war zu Hause,
und empfing die beiden Polizisten.
Sie war eine hübsche Brünette mit lebhaften braunen Augen,
und so lebhaft war auch ihre Art. Eine sehr energische, lebhafte Person.
„Wie geht es meinem Mann?“, fragte sie
„Den Umständen entsprechend gut. Er muss allerdings vorerst
im Hamm-Haus bleiben. Er gilt noch als Hauptverdächtigter.“
„Er ist kein Mörder“
„Ich möchte ihnen das gern glauben. Sie haben nicht im
Hamm-Anwesen gewohnt?“
„Um Gottes Willen , da wo dieses alte Scheusal gewohnt hat?“
„Aber ihr Mann wohnte dort?“
„Nein, er hat Heute Morgen dort gefrühstückt, weil sein
Onkel ihn darum gebeten hatte. Sagte, er hätte etwas mit ihm zu besprechen.“
„Hat er durchklingen lassen, worum es ging?“
„Nein, ich habe auch genug von ihm gehabt. Nachdem es ihm
nicht gelungen war, mich mit Geld zum Verzicht auf dien Hochzeit mit Phillip zu
bringen, hat er es mit Verleumdung versucht, und Gerüchte über mich
ausgestreut.“
„Die alle nicht wahr waren?“
„Natürlich nicht. Wir haben dann Auswärts heimlich
geheiratet. Es war nicht leicht, Phil davon überzeugen, man muss ihn immer ein
bisschen zu seinem Glück zwingen, aber schließlich sah auch er ein, das es das Beste
war.“
„Und das hat seinen Onkel sehr getroffen?“
„Und wie! Getobt hat er. Phillip wollte er enterben, wenn er
sich nicht sofort wieder scheiden lies, aber der war ja nun nicht mehr von ihm
abhängig, oder vom Erbe.Umso erstaunter waren wir, als er ihn bat zu ihm zu
kommen.“
„Verstehe. Ja, dann habe ich keine Frage mehr.“
II
Am nächsten Morgen wurden ihre Pläne durch eine Nachricht
ein wenig durcheinander gebracht. Von der Zentrale erfuhren sie, dass im Hammschen
Herrenhaus eingebrochen worden war, und zwar im Arbeitszimmer von Albrecht von
Hamm. Offenbar war das Testament gestohlen worden, welches er im Tresor
aufbewahrte. Von dem, im Haus anwesenden Anwalt Dr.Stach, einem distinguiertem
älteren Mann erfuhren sie, das Albrecht von Hamm wohl ein neues Testament gemacht
hatte, und alle enterben wollte.
„Typisch“ meinte Paul, der ebenfalls dabei war „Das passt zu
dem alten Drecksack“
Alle Familienmitglieder konnten ein mehr oder weniger gutes
Alibi vorweisen. Hansen zog es vor, zwei Polizei-Beamten im Haus zurück zu lassen.
Nun fuhren sie zu Dr. Heinholz, dem Hausarzt. Der erwies
sich als beleibter Mann Mitte Fünfzig, mit Glatze, grauen Augen, und braunem
Walross-Schnurrbart.
Finn Hansen holte die Medikament-Packungen aus der Jacke.
„Ich nehme an, sie haben ihm die verschrieben?“
„Allerdings“
„Beruhigungsmittel und Morphin sind mir soweit bekannt, aber
Trametinib sagt mir nichts.“
„Ja, das ist ein Krebs-Medikament für Patienten mit
inoperablem oder metastasiertem Melanom. Es ist ein MEK- Hemmer, der den
Signalweg in der Krebszelle zur Teilung blockiert. „
„Herr von Hamm hatte also inoperablen Krebs?“
„Leberkrebs, der auch schon gestreut hatte. ja. Er hatte
höchstens noch drei Monate. Das Medikament kann das nur noch verlangsamen, aber
nicht mehr aufhalten. Das Morphin war zur Dämmung der Schmerzen, und sorgte
zusammen mit dem Beruhigungsmittel dafür dafür, das er noch Schlaf finden
konnte.“
„Wann hatten sie das letzte Mal das Beruhigungsmittel
verschrieben?“
„Hmmm…vor Zwei Tagen, denke ich“
„Hansen hielt die fast leere Packung hoch. Kann es sein, das
die Packung dann schon so leer ist?“
„Nein, eigentlich nicht, das überrascht mich jetzt auch ein
wenig.“
„Wusste seine Familie, dass er tot krank ist?“
„Ich hab es ihnen nicht gesagt, das habe ich ihm selbst
überlassen, und wenn er es ihnen nicht gesagt hat, wissen sie es auch nicht.“
„Gut, das war schon alles, vielen Dank.“
„Als sie wieder im Auto saßen, fragte Hansen:
„Na, was meinen sie zu dem Fall?“
„Ziemlich verwirrend, aber wenn sie gewusst haben, das er
unheilbar Krebskrank ist, hätte es für sie ja keinen Sinn gemacht, ihn zu
töten.“
„Wenn sie es wussten, aber so wie ich ihn einschätze hat er es ihnen nicht gesagt, aber wie dem auch sei, wir müssen sie fragen.“
„Das Testament zu stehlen hätte aber jeder ein Motiv
gehabt.“
„Logisch, wenn er sie enterben wollte, wäre es natürlich
klar, dass sie es verschwinden lassen wollen. Fabian, ich habe einen gewissen
Verdacht, ich muss ihn mir jetzt noch bestätigen lassen. “
Er wählte auf seinem Handy, das in der Freisprechanlage saß.
Wenig später meldete sich die Gerichtsmedizin.
„Wörner, haben sie die Leiche des alten Von Hamm noch bei
ihnen? Ah sehr gut, könnten sie für mich noch einmal eine bestimmte
Untersuchung vornehmen? „
Ein ähnliches Gespräch führte er noch mit der
Kriminaltechnik.
„Bis Heute Abend haben wir die Ergebnisse, und Morgen früh
fahren wir noch mal zum Hamm-Anwesen.
Am nächsten Morgen saßen sie im Büro und studierten die
erhaltenen Berichte.
„Ja, ich hatte Recht“, meinte Hansen
„Eigentlich unglaublich“, meinte Born „doch wenn man es
genau nimmt, springt es einem eigentlich ins Auge“
„Ja, lassen sie uns zu den von Hamms fahren, und die Sache
zu Ende bringen. Ach ja, der Staatsanwalt.“
Hansen griff zum Telefon und verständigte den Staatsanwalt,
der zusagte hinzu zu kommen.“
Als sie sich erhoben, fiel Hansens Blick auf ein kleines Buch,
das auf Borns Schreibtischseite lag.
„Edgar Allan Poe“, sagte er.
„Ja", meinte Born, "ich habe ab und zu einen Sinn fürs
Morbide."
Hansen lächelte, doch als sein Blick auf den Titel der
Geschichte fiel, erstarrte er wie elektrisiert. So stand er eine Weile und
dachte nach.
„Born, „sagte er schließlich, „sie haben grade das letzte
Rätsel gelöst. Ich denke, ich weiß jetzt, wo das Testament ist. Kommen sie, wir
fahren.Wir müssen vorher noch mit einer bestimmten Person des von
Hamm-Haushaltes reden “
Unten im großen Salon waren alle versammelt. Die drei
Geschwister, Phillip und seine Frau, die sie unterwegs angerufen hatten,
der Anwalt der Familie, sowie
Staatsanwalt Dr. Scholl. An den Türen standen Polizisten.
Hansen und Born kamen herein, und kurz danach Edgar, der
Getränke servierte, und sich dann zu den anderen setzte.
„Vielen Dank, das sie erschienen sind“, begann Finn Hansen
„Ich möchte mit ihnen nun den Tod von Albrecht von Hamm aufklären.“
„Sehen sie, es ist nicht so, dass wir hier einen Mangel an
Verdächtigen haben. Albrecht hat sich, so wie ich es sehe, alle Mühe gegeben,
sich möglichst viele Menschen zum Feind zu machen. Er hat seine Familie wie ein
Tyrann regiert, und jedes Mitglied hätte wohl mehr als genug Grund gehabt, ihn
zu töten.
Ich war schnell der Meinung, dass der Mann der Schlüssel zur
Lösung des Falles ist, und die
Gespräche, die ich mit seinen Angehörigen, gleichsam den Verdächtigen geführt habe,
bestätigten mir dies.
Ich hatte aufgrund
des Charakters des Toten eine Vermutung, die noch verstärkt wurde, durch ein
Gespräch mit seinem Hausarzt, bezüglich der Medikamente, die ich in seiner Wohnung
fand.
Wussten sie, das ihr Vater, respektive Onkel, unheilbar
Krebskrank war?“
Die Familienmitglieder schüttelten überrascht die Köpfe
Hansen lächelte
„Das habe ich mir gedacht. Aber das war eine entscheiden
Erkenntnis, auch die Tatsache, dass die Packung mit dem Beruhigungsmittel fast
leer war, obwohl er sie erst vor zwei Tagen bekommen hatte. Das bedeutet, er
musste eine größere Menge für einen bestimmten Zweck gebraucht haben.Wofür?
Nun, wie gesagt, der
Mensch Albrecht von Hamm sagt es uns .Von Hamm war ein Narzisst mit
sadistischen Neigungen. Er war herrsch- und kontrollsüchtig, und liebte es seine
Kinder und seinen Neffen herum zu kommandieren, und ihr Leben zu kontrollieren.
Wo es ging, schikanierte und demütigte er sie .lies sie ihre Abhängigkeit von
ihm spüren.
Und mit allen mitteln versuchte er die Ehe zwischen seinem
Neffen Phillip und Lena Holzek zu verhindern. Dabei war ihm nichts zu schäbig.
Aber dann passierte etwas für ihn unfassbares. Phillip und
Lena hatten hinter seinem Rücken heimlich geheiratet. Stellen sie sich vor, was
das für solch einen Menschen bedeutet. dieser herrsch- und kontrollsüchtige
Mensch musste feststellen, wie sich eines seiner Opfer seiner Kontrolle entzog.
Das warf ihn aus der Bahn. denken sie sich nun noch dazu, dass er tot krank
war, und höchstens noch drei Monate zu leben hatte.
Ein so narzisstischer Mensch
wird in solch einem Fall nicht plötzlich versöhnlich und akzeptiert
seine Niederlage.
Nein, viel mehr wollte er noch im Sterben eine Demonstration
seiner Macht geben, und Phillip für seine Unverschämtheit bestrafen, und dazu
ersann er einen Plan, den man direkt teuflisch nennen kann.“
„Ich verstehe nicht ganz“, meinte Paul. „wie soll er das
gemacht haben?“
„Ist ihnen das noch nicht klar? Wir haben es hier mit dem
ebenso bemerkenswerten, wie ungewöhnlichen Fall eines als Mord getarnten
Selbstmordes zu tun.“
Die anderen fuhren hoch
„Selbstmord“
„Ja sicher“, sagte Hansen „Er hätte eh nicht mehr lange
gelebt, und er wollte nicht, das Phillip, der sich seiner Kontrolle entzogen
hatte, glücklich würde. Was war da nahe liegender, als ihm den Mord an sich
selbst anzuhängen?
Dass er Phillip zu sich bestellt hatte, zeigt, dass er mit
Vorbedacht geplant hatte. Er lässt sich den Kaffee kurz vor Elf servieren. Kein
Problem den Kaffee von Phillip nach dem Eingießen mit einer hohen Dosis
Schlafmittel zu versetzen.er bringt die, nun fast leere, Packung zurück ins Bad, wo ich sie fand.Dann wartet er auf seinen Neffen.
Wie geplant schläft Phillip nach der Einnahme schnell ein.
Jetzt geht Albrecht an die Umsetzung seines Plans. Er holt die Waffe hervor,
die er vorher versteckt gehalten hatte.Dabei umfasst er sie mit dem Seidentuch,
das nachher am Boden lag. Er drückt sie dem schlafenden in die Hand, umfasst
sie und Phillips Hand, und seinen Finger am Abzug, und hält sie sich vor sie
Brust. so...“ er führte es vor „...und drückt ab. Dabei hat er jenes triumphierende,
bösartige Lächeln im Gesicht, das er auch noch im Tod hatte. Peng, der Onkel
ist tot, und der Neffe wird mit der
Mordwaffe in der Hand gefunden“
Eine Pause entstand.
"Wenn sie jetzt fragen, ob ich das beweisen kann, oh ja. Ich
habe Albrechts Leiche, speziell seine Hände auf Schmauchspuren untersuchen
lassen. Sie wiesen welche auf, womit bewiesen ist, das er abgedrückt hat. auch
das Seidentuch enthielt welche, und damit nicht genug, ich habe auch die Waffe
noch einmal untersuchen lassen. Auf dem Magazin waren nur Albrecht von Hamms
Fingerabdrücke. Er musste sie also geladen haben, und das wird er gewiss nicht
getan haben, damit ihn jemand anders erschießt.
Und darüber hinaus haben wir sogar sein Geständnis. Es gibt
nämlich eine Person, die sein volles Vertrauen genoss. Diese Person ist Edgar
Jente, sein Diener. Bevor wir diese Versammlung abhielten haben wir mit ihm
gesprochen, und er hat uns gestanden, das der alte ihm einen Brief hinterlassen
hatte, in dem er alles erklärte, und ihn bat, noch etwas zu tun, nämlich den
Einbruch im Arbeitszimmer vor zu täuschen, indem er das Türschloss beschädigte
, und den Tresor öffnete, dessen Kombination ebenfalls im Brief stand. Aber das
Testament war gar nicht im Tresor nicht wahr?“
Edgar nickte.
„Nein, er hatte es vorher schon versteckt. Der gute Edgar
ist eine treue Seele, daher hat er getan, was sein Herr wollte. Das
verschwinden des Testamentes sollte Verwirrung stiften und Zwietracht unter den
Geschwistern sähen. Noch im Tod wollte er sie triezen. Doch Edgar hatte so viel
Gewissen, das er doch nicht dafür verantwortlich sein wollte, dass ein
Unschuldiger ins Gefängnis geht. daher es uns zusammen mit dem Brief übergeben.“
„Aber wo ist denn jetzt das Testament?“, fragte der
Staatsanwalt.
„Oh, wir haben es schon gefunden, und das ist
Kriminalmeister Born zu verdanken. Er las nämlich ein Buch mit Geschichten von Edgar Allan Poe. Und der
Titel war „Der entwendete Brief“, indem es um eine geniale Versteck-Idee ging.
Das Buch erinnerte mich daran, das ja auch Albrecht von Hamm Werke von Poe in
seinem Regal hatte, und mit Sicherheit würde auch diese Geschichte dabei sein,
und hatte ihn inspiriert.
„Aber wo?“, wollte der Anwalt wissen.
„Ja, wo kann man einen Brief am Besten verstecken? Das beste
und genialste Versteck ist- zwischen vielen Briefen!
So war es auch in der Geschichte. Der gesuchte Brief lag
offen zwischen einem Stapel anderer Briefe auf einem Schreibtisch. Ich
erinnerte mich an die Briefe im Eingangsschuber, und dort fand ich es."
Er zog
den gelben Umschlag aus der Tasche, und reichte ihn Dr. Stach.
"Er ist an sie
gerichtet. Ich habe ihn geöffnet, um sicher zu gehen. Es ist das Testament. Ich
habe es aber nicht gelesen. Damit ist der Fall abgeschlossen, und wir dürfen
uns zurück ziehen.“
Der Rest ist schnell erzählt. Albrecht von Hamm hatte seine Angehörigen doch nicht enterbt, oder nicht vollständig. Sie erhielten die Firmengruppe
jeweils zu gleichen Teilen. Die Hälfte des Geldvermögens wurde zu gleichen
Teilen an die drei Kinder und den Neffen verteilt, die andere Hälfte ging an
eine Stiftung.
Um auf der einen Seite den Ruf der von Hamms zu schützen,
und auf der anderen Seite Phillip rein zu waschen, der mit seiner Lena sehr
glücklich wurde, stellte man das Ganze in der Öffentlichkeit als Unfall dar.
Das war die Geschichte des Todes von Albrecht von Hamm.