Sonntag, 6. September 2015

Der lächelnde Tote

Der dritte Fall für Finn Hansen



I

„Ah,  verflixt“, sagte der Mann am Schreibtisch, der Anfang vierzig , gut 1,80m groß und schlaksig war, und dunkelbraunes Haar hatte, das hier und dort von grauen Strähnen durchzogen war. Missmutig hielt er eine ausgefallene Krone in der Hand, und betrachtete sie aus seinen grünen Augen. „Tja, nützt nichts, da muss ich wohl mal zum Zahnarzt.“, murrte er.

Im selben Moment klopfte es an der Tür. Ein stämmig gebauter, blonder Junger Mann, Ende Zwanzig, Kriminalmeister Fabian Born, öffnete sie und trat ein.
„Herr Kommissar, wir müssen zum von Hamm-Anwesen.Der alte von Hamm ist erschossen worden. Wir sollen sofort kommen. Der Herr Staatsanwalt ist auch schon da, obwohl es so aussieht, als hätten sie den Mörder schon, aber wir sollen uns die Sache trotzdem mal ansehen. Bei der Prominenz des Opfers will man ganz sicher sein“
„Ende der Mittagspause und  mit dem Zahnarzt wird´s wohl auch nichts“, meinte Kommissar Finn Hansen mit einem seltsamen Gefühl der Erleichterung.

 Albrecht, Baron von Hamm, 78 Jahre alt, war Angehöriger einer alt eingesessenen Adelsfamilie, die etwas außerhalb von Helmburg ein Jagdschloss bewohnte. Es handelte sich um eine, im Harz bekannte, Familie, die eine Schnapsbrennerei unterhielt und einen renommierten Handel mit Wild-Produkten betrieb, die sich ein normal- Sterblicher nicht leisten konnte. Ihr gehörten außerdem noch einige Ländereien.

Der Weg führte die beiden Beamten, hinter der Ortschaft links in einen Waldweg hinein, der auf einen Hügel führte, auf dem das Hammsche Anwesen stand.
Sie stellten ihr Fahrzeug vor dem Haus ab, vor dem schon Polizei-Fahrzeuge standen, und wurden von einem steifen Diener nach Oben geführt, zu den Wohnräumen des getöteten Hausherrn.

Als sie eintraten, sahen sie den Toten, dessen Brust eine Wunde aufwies, welche über die Todesursache  keine Zweifel lies. Blut war daraus auf sein Hemd gesickert. Die Kugel war ihm direkt ins Herz gedrungen. Was das ganze Bild jedoch unheimlich und irgendwie grotesk wirken lies, war die Tatsache, das der Tote –lächelte! Ja, er lächelte. Man konnte es nicht anders sagen, und das Lächeln wirkte irgendwie selbstzufrieden und, ja, diabolisch.

Staatsanwalt Dr. Scholl kam auf sie zu, und reichte ihnen die Hand. Er war ein mittelgroßer Mann, Ende Fünfzig mit grauem Haarkranz und Bauchansatz. Sein rundes, massiges Gesicht war stark gerötet.
„Guten Morgen. Schön, dass sie gleich kommen konnten. Ja, keine schöne Sache. Sie sehen ja selber, er wurde erschossen. Der mutmaßliche Täter sitzt übrigens nebenan.“
„Und woher wissen sie, dass er es war?“, wollte Hansen wissen. 

„Ja, er wurde hier bei der Leiche angetroffen, die Waffe noch in der Hand. Es handelt sich um seinen Neffen, äh. Phillip von Hamm.  Sein Onkel hatte ihn Heute Vormittag um Elf Uhr zu sich eingeladen und mit ihm Kaffee getrunken. Um kurz nach Zwölf Uhr Dreißig, wollte der  Diener das Mittagessen servieren, das der Alte hier Oben einnehmen wollte, und fand den Alten tot ,sowie den jungen Mann schläfrig und verstört mit der Waffe in der Hand“

Hansen kniete sich neben den Toten und untersuchte ihn.
„Da sind Versengungen um die Wunde. Die Waffe muss beim Schuss also sehr nahe gewesen sein. Gibt es Anhaltspunkte das er bewusstlos war, als er erschossen wurde?“
„Nein, keinerlei Anzeichen, allerdings steht die Obduktion noch aus.“, meinte der Staatsanwalt mit leicht erstaunter Mine
„Ist das wichtig?“
„Nun,  er würde jemanden mit einer Waffe doch nicht so nahe an sich heran lassen, und der Mörder wäre doch nicht so nahe an ihn heran kommen,und hätte riskiert von ihm entwaffnet zu werden. Er hätte ihn doch auch aus der Distanz erschießen können. Das ergibt irgendwie keinen Sinn.“

Der Staatsanwalt nickte
„Dann können sie Phillip ja fragen, wenn sie ihn vernehmen.“  
„Ja, aber vorher möchte ich mich in der Wohnung umsehen, um erstmal das Opfer näher kennen zu lernen. Ich werde den Eindruck nicht los, das der Mann selbst der Schlüssel zur Aufklärung seines Todes ist.“

Die Einrichtung der Wohnung entsprach dem Jugendstil. Hansen lies den Blick durch den Salon schweifen. Den Tisch ,auf dem noch ein Kaffee-Geschirr stand, von dem zwei Tassen benutzt waren. Dahinter ein Sideboard.An der anderen Wand ein  Sofa. Vom Fenster, das Links und Rechts mit schweren Vorhängen versehen war, auf der anderen Seite fiel Sonnenlicht herein. Zwischen dem Tisch und dem Sofa lag der Tote, der jetzt abtransportiert war. Dicht bei ihm, lag ein Seidentuch. Hansen bückte sich, und hob es auf.
„Gehörte das dem Hausherrn?“, fragte er den Staatsanwalt.
„Weiß nicht, da müssen sie den Diener fragen, diesen…Edgar, Edgar Jente.“
„Werd´ ich tun, aber vorsichtshalber sollte das hier ins Labor.“
Er übergab es einem Mann von der Kriminaltechnik.

Als nächstes sah er sich das Arbeitszimmer an. Es war nichts besonderes .Ein wuchtiger Schreibtisch, hinter dem ein Leder-bezogener Chef-Sessel stand. Dahinter in der Ecke ein Tresor. Der Schreibtisch war auf die übliche Weise eingerichtet. Der Computer passte vielleicht nicht dazu. Rechts oben stand ein Eingangs-Schuber, auf dem ein Packen Briefe lag. Hansen nahm ihn auf, und betrachtete die Umschläge. Meist geschäftliche Post, wie es schien, darunter ein gelber Umschlag, der an einen Anwalt gerichtet schien. Er legte sie wieder hinein.

Dann sah er sich das Ankleidezimmer und das daran grenzende Badezimmer an. Auf dem Regal neben dem Spiegelschrank fand er einige Medikamenten –Packungen. „Morphin“, las er. „Interessant, mal mit dem Arzt sprechen“, murmelte er, und steckte das Fläschchen ein. Weiter fand er ein Röhrchen mit einem starken Beruhigungsmittel, und eine Packung mit einem Wirkstoff namens Trametinib. Er steckte es auch ein, und nahm sich vor den Arzt des Toten so Bald wie möglich aufzusuchen.

Fabian Born hatte sich derweil das Wohnzimmer angesehen, und nichts Besonderes gefunden.Gemeinsam betraten sie nun die Bibliothek. Auch hier nichts, was von Bedeutung sein könnte. Mehrere hohe Regale voller alter Bücher, darunter auch alte Kriminalromane , so wie eine Sammlung der Werke Edgar Allan Poes. Sie gingen zurück in den Salon, wo nun Phillip von Hamm auf dem Sofa saß, und sie verwirrt ansah. Neben ihm saß der Staatsanwalt. Neben der Couch stand ein Polizist. Von Hamm sah allerdings nicht so aus, als er ob er Lust hätte zu fliehen.

Hansen zog sich einen Stuhl vom Tisch heran, und setzte sich zu ihm. Born tat es ihm nach.
Er wirkte viel mehr, wie ein kleines Häufchen Elend. Er war mittelgroß und schlank, fast schon schmächtig, hatte ein schmales, bleiches Gesicht mit nervös blickenden, grauen Augen, und zurück gekämmtes dunkelblondes Haar.

„Herr von Hamm, ich bin Kommissar Hansen, mein Assistent, Kriminalmeister Born, und
Herrn Staatsanwalt Dr. Scholl kennen sie ja schon.“
Der Angesprochene nickte uns nur zu.
„Ich ermittle im Tod ihres Onkels, und möchte sie nun bitten, mir zu erzählen, was sich aus ihrer Sicht Heute Vormittag zugetragen hat.“

„Nun ja, nach dem Frühstück sprach mich Onkel Albrecht an, ich solle um Elf zu ihm kommen. Genau genommen hatte er mich schon zum Frühstück her bestellt.Das tat ich. Er servierte Kaffee, und sagte, er wolle sich mit mir versöhnen, und mir für die Ehe mit Lena den Segen geben, den er bisher verweigert hatte.Danach gibt es einen Blackout. Ich erinnere mich erst wieder, dass ich mit der Waffe in der Hand auf dem Boden saß, mein Onkel tot vor mir. Da kam auch schon Edgar herein. Edgar ist sein Leibdiener.“
„Sie sagten, er wollte sich versöhnen. Lebten sie denn im Streit?“

Der junge Mann sah dem Kommissar jetzt offen ins Auge
„Es war erstaunlich, das er sich überhaupt versöhnen wollte, denn wissen sie, Onkel war eigentlich ein ziemlich übler Mensch. Er liebte es, Macht über uns zu haben, unser Leben zu bestimmen, und ja, uns zu demütigen. Immer lies er uns die gewisse finanzielle Abhängigkeit von ihm spürt, und drohte jedem mit Enterbung, der nicht spurte. Er war ein echter Tyrann. Grade vor diesem Hintergrund überraschte mich sein Versöhnungsangebot, zumal meine Hochzeit mit Lena, also Lena Holzek  so ein schwerer Schlag für ihn war.“

„Er war also gegen die Hochzeit?“
„Er hat mit allen Mitteln versucht, sie verhindern, daher vollzogen wir sie heimlich. Sie machte mich nämlich unabhängig von ihm. Sie müssen wissen, das Lenas Vater eine Sägemühle und einen Holzhandel besitzt, und mich zu seinem  Junior -Partner gemacht hat, da er außer seiner Tochter, der die Hälfte des Betriebes gehört, und die seine Universal-Erbin ist, keine Kinder hat.“
„Demzufolge hatten sie eigentlich keinen Grund, ihn zu töten.“
Phillip lachte bitter
„Nein, wohl eher umgekehrt.“
„Nun gut, das war ´s für´s erste, danke. Herr Staatsanwalt, solange er hier bleibt, würde ich auf eine Untersuchungshaft verzichten wollen.“
„Der Staatsanwalt überlegte kurz, und nickte dann.
„In Ordnung, aber sie haben sich einmal am Tag bei uns zu melden, Herr von Hamm.“
Von Hamm nickte nur.

Als nächstes hätte ich gern mit dem Diener gesprochen, diesem Herrn Jente. Der Diener wurde gerufen, und erschien kurz darauf. Edgar Jente war ein hoch gewachsener älterer Mann um die Sechzig, mit Kurz geschnittenem schwarzgrauem Haar, einer hohen Stirn, einer Adlernase, mit einem schmalen Schnurrbart darunter,  und blauen Augen. Seine Haltung war würdevoll, und steif. Er erinnerte stark an das Klischee vom englischen Butler.
„Herr Jente, Hansen, Kriminalpolizei, mein Assistent Born. Darf ich fragen, wie lange sie schon für Herrn von Hamm arbeiten?“
Der Diener zog die Brauen hoch, als empfinde er diese Frage als Beleidigung.
„Meine Familie  hat seit Vier Generationen die Ehre den von Hamms dienen zu dürfen. Ich selber bin seit gut dreißig Jahren in diesem Haus beschäftigt.“
„Und waren sie mit ihrer Herrschaft, speziell Albrecht von Hamm, zufrieden, oder gab es Schwierigkeiten?“
„Er war sicher kein einfacher Charakter, und hin und wieder gab es auch Konflikte, aber keine, derentwegen ich ihm den Tod wünschen würde.“ Er zog wieder die Brauen hoch.
Hansen lächelte.

„Oh, ich verdächtige sie keineswegs  Nun. sagen sie mir,was Heute Vormittag passierte.“
„Nun, das Frühstück verlief normal, da war der gnädige Herr auch dabei. Das Mittagessen wünschte er oben in seinem Salon einzunehmen. Ich frage nie nach dem Grund für solche Marotten. Dann befahl er um elf Uhr Kaffee zu servieren, was ich tat.Genau genommen war ich kurz vor Elf da. Sein Neffe war noch nicht anwesend. Ich servierte den Kaffee, fragte, ob es noch einen Wunsch gab, und entfernte mich, als Herr von Hamm verneinte.  

„Hörten sie zwischendurch etwas?“
„Da war zwischendurch so etwas wie ein Knall, aber ich dachte, da war etwas umgefallen.Es gibt so viele Geräusche in so einem alten Haus.“
„Und dann servierten sie das Mittagsessen, und fanden den Toten. Wie und wann war das genau?“
„Da gibt es nicht viel zu sagen.Es etwa Halb Eins Ich kam herein, der gnädige Herr lag tot auf dem Boden. Davor saß, oder stand halb Herr Phillip, und sah mich verwirrt an. Er hielt die Waffe in der hand, weshalb ich erst in Deckung ging.Aber dann brach er wieder zusammen, und blieb kauernd sitzen, und lies sich die Waffe aus der Hand nehmen.“

„Würden sie ihm einen Mord zutrauen?“
„Eigentlich nicht. Er hat nicht das Gemüt für einen Mord. Ist eigentlich mehr ein sanftmütiger und wenig entschlossener Mensch, aber man kann natürlich nicht in den Kopf eines Menschen hinein sehen."
„Ja, das ist richtig. Sagen sie, wer wohnt noch in diesem Haus?“
„Nur seine drei Kinder, seine Frau ist vor Acht Jahren gestorben. Da wäre zunächst der Älteste Paul, 42 Jahre alt. Er leitet ein Gestüt, und ist passionierter Jäger und Vorsitzender des hiesigen Schützenvereins, dann sein Bruder Bernd, zwei Jahre Jünger, leitet die Schnapsbrennerei. Ja und Corinna, sie ist 36, und Vorsitzende des Aufsichtsrates der Unternehmensgruppe. Man sagt ihr ein Verhältnis mit dem Sohn des Bürgermeisters nach. Na ja ,und dann noch die Dienstwohnungen von mir , der Köchin ,und den beiden Zimmermädchen“
„Finde ich die anderen jetzt hier im Haus?“
„Ja, sie dürften alle anwesend sein. Wenn sie nicht in ihren Räumen sind, dann sind sie sicher im Garten.“
„Noch eine Frage: Wer war der Hausarzt von Herrn von Hamm?“
„Herr Dr. Heinholz. Hat seine Praxis  an der Hauptstrasse in Helmburg“

„Gut, das wär´ s  für´s Erste, vielen Dank“
Der Diener wurde entlassen und ging. Hansen dachte nach.
„Je mehr ich höre, desto weniger Sinn ergibt es, das Sein Neffe ihn getötet haben soll.“
 Sie verließen den Salon, der versiegelt wurde, und gingen nach unten, durchschritten den Wohnraum, und gingen zur Terassentür .Draußen im Garten, an einem Tisch, unter einem Sonnenschirm Sassen zwei Männer und eine Frau. Ihre Gesichtszüge ähnelten einander, und gleichzeitig fand man in jedem auch die Züge des Toten.

„Guten Tag, ich möchte sie nicht lange stören. Finn Hansen, Kriminalkommissar, mein Assistent Fabian Born.“
Sie setzten sich, ohne gefragt zu werden, aber bevor der Kommissar beginnen konnte zu reden, sagte, der ihnen am nächsten sitzende:
„Sie brauchen nicht zu erwarten, dass wir traurig sind, dass das Aas tot ist. Wir empfinden seinen Tod eher als Erleichterung.“
„Ja, ich habe schon gehört, wie er ihnen mitspielte, und kann mir vorstellen, dass er bei ihnen nicht sonderlich beliebt war. Sie sind übrigens…?“
„Paul von Hamm“, sagte der blonde Mann mit dem kantigen Gesicht „Das mein Herr wäre eine riesengroße Untertreibung. Er war ein Diktator, der uns alle unterdrückt hat. Hätte wir die Möglichkeit gehabt, von ihm unabhängig zu werden, dann wären wir sicher schon weg gewesen.“
„Tja, und jetzt nach seinem Tod erben sie. Wo waren sie übrigens zwischen Elf und Zwölf Uhr Dreißig?“
„In meinem Arbeitszimmer im Zweiten Stock. Leider war niemand dabei, der das bestätigen kann.“

Hansen wandte sich an den zweiten Mann, der seinem Bruder sehr ähnlich sah.
„Und sie müssen dann Bernd sein. Wo waren sie in der Zeit?“
„In der Brennerei, das kann der Brennmeister bestätigen. Vor einer halben Stunde bin ich zurück gekommen.“
Der Kommissar wandte sich der zierlichen Frau zu, die ihr blondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, elegant gekleidet war, und zerbrechlich wirkte.
„Ich war im Garten, und habe Rosen geschnitten. Wir haben zwar einen Gärtner, aber die Rosen sind mein Heiligtum“
„Verstehe, und sie waren allein?“
„Ja leider,. Wenn ich gewusst hätte, das ich einen Zeugen brauche, hätte ich sicher jemanden mit genommen.“

Hansen lächelte
„Schon gut, aber sie werden verstehen, dass wir alles gründlich untersuchen müssen.“
„Ja, aber haben sie nicht Vetter Phillip fest genommen?“, wollte Paul wissen.
„Nein, haben wir nicht. Es ist richtig, das er am Tatort mit der Waffe angetroffen wurde, aber es gibt noch ein paar Ungereimtheiten“
„Er wird am Tatort mit der Waffe angetroffen, und trotzdem gibt es Ungereimtheiten?“
„Tja ungewöhnlich, nicht? Aber ich melde mich bei ihnen, wenn wir mehr wissen. Für jetzt verabschieden wir uns."

Als sie Auto saßen, meinte Hansen: “Ich denke, wir haben noch Zeit, zu Phillips Frau zu fahren, dieser Lena Holzek“
Das Holzek´sche  Anwesen lag nicht weit entfernt, am selben Waldweg. Lena war zu Hause, und empfing die beiden Polizisten.
Sie war eine hübsche Brünette mit lebhaften braunen Augen, und so lebhaft war auch ihre Art. Eine sehr energische, lebhafte Person.
„Wie geht es meinem Mann?“, fragte sie
„Den Umständen entsprechend gut. Er muss allerdings vorerst im Hamm-Haus bleiben. Er gilt noch als Hauptverdächtigter.“
„Er ist kein Mörder“
„Ich möchte ihnen das gern glauben. Sie haben nicht im Hamm-Anwesen gewohnt?“
„Um Gottes Willen , da wo dieses alte Scheusal gewohnt hat?“
„Aber ihr Mann wohnte dort?“
„Nein, er hat Heute Morgen dort gefrühstückt, weil sein Onkel ihn darum gebeten hatte. Sagte, er hätte etwas mit ihm zu besprechen.“
„Hat er durchklingen lassen, worum es ging?“
„Nein, ich habe auch genug von ihm gehabt. Nachdem es ihm nicht gelungen war, mich mit Geld zum Verzicht auf dien Hochzeit mit Phillip zu bringen, hat er es mit Verleumdung versucht, und Gerüchte über mich ausgestreut.“
„Die alle nicht wahr waren?“
„Natürlich nicht. Wir haben dann Auswärts heimlich geheiratet. Es war nicht leicht, Phil davon überzeugen, man muss ihn immer ein bisschen zu seinem Glück zwingen, aber schließlich sah auch er ein, das es das Beste war.“
„Und das hat seinen Onkel sehr getroffen?“
„Und wie! Getobt hat er. Phillip wollte er enterben, wenn er sich nicht sofort wieder scheiden lies, aber der war ja nun nicht mehr von ihm abhängig, oder vom Erbe.Umso erstaunter waren wir, als er ihn bat zu ihm zu kommen.“
„Verstehe. Ja, dann habe ich keine Frage mehr.“

II

Am nächsten Morgen wurden ihre Pläne durch eine Nachricht ein wenig durcheinander gebracht. Von der Zentrale erfuhren sie, dass im Hammschen Herrenhaus eingebrochen worden war, und zwar im Arbeitszimmer von Albrecht von Hamm. Offenbar war das Testament gestohlen worden, welches er im Tresor aufbewahrte. Von dem, im Haus anwesenden Anwalt Dr.Stach, einem distinguiertem älteren Mann erfuhren sie, das Albrecht von Hamm wohl ein neues Testament gemacht hatte, und alle enterben wollte.
„Typisch“ meinte Paul, der ebenfalls dabei war „Das passt zu dem alten Drecksack“
Alle Familienmitglieder konnten ein mehr oder weniger gutes Alibi vorweisen. Hansen zog es vor, zwei Polizei-Beamten im Haus zurück zu lassen.

Nun fuhren sie zu Dr. Heinholz, dem Hausarzt. Der erwies sich als beleibter Mann Mitte Fünfzig, mit Glatze, grauen Augen, und braunem Walross-Schnurrbart.
Finn Hansen holte die Medikament-Packungen aus der Jacke.
„Ich nehme an, sie haben ihm die verschrieben?“
„Allerdings“
„Beruhigungsmittel und Morphin sind mir soweit bekannt, aber Trametinib sagt mir nichts.“
„Ja, das ist ein Krebs-Medikament für Patienten mit inoperablem oder metastasiertem Melanom. Es ist ein MEK- Hemmer, der den Signalweg in der Krebszelle zur Teilung blockiert. „

„Herr von Hamm hatte also inoperablen Krebs?“
„Leberkrebs, der auch schon gestreut hatte. ja. Er hatte höchstens noch drei Monate. Das Medikament kann das nur noch verlangsamen, aber nicht mehr aufhalten. Das Morphin war zur Dämmung der Schmerzen, und sorgte zusammen mit dem Beruhigungsmittel dafür dafür, das er noch Schlaf finden konnte.“
„Wann hatten sie das letzte Mal das Beruhigungsmittel verschrieben?“
„Hmmm…vor Zwei Tagen, denke ich“
„Hansen hielt die fast leere Packung hoch. Kann es sein, das die Packung dann schon so leer ist?“
„Nein, eigentlich nicht, das überrascht mich jetzt auch ein wenig.“
„Wusste seine Familie, dass er tot krank ist?“
„Ich hab es ihnen nicht gesagt, das habe ich ihm selbst überlassen, und wenn er es ihnen nicht gesagt hat, wissen sie es auch nicht.“
„Gut, das war schon alles, vielen Dank.“

„Als sie wieder im Auto saßen, fragte Hansen:
„Na, was meinen sie zu dem Fall?“
„Ziemlich verwirrend, aber wenn sie gewusst haben, das er unheilbar Krebskrank ist, hätte es für sie ja keinen Sinn gemacht, ihn zu töten.“
„Wenn sie es wussten, aber so wie ich ihn einschätze hat er es ihnen nicht gesagt, aber wie dem auch sei, wir müssen sie fragen.“
„Das Testament zu stehlen hätte aber jeder ein Motiv gehabt.“
„Logisch, wenn er sie enterben wollte, wäre es natürlich klar, dass sie es verschwinden lassen wollen. Fabian, ich habe einen gewissen Verdacht, ich muss ihn mir jetzt noch bestätigen lassen. “

Er wählte auf seinem Handy, das in der Freisprechanlage saß. Wenig später meldete sich die Gerichtsmedizin.
„Wörner, haben sie die Leiche des alten Von Hamm noch bei ihnen? Ah sehr gut, könnten sie für mich noch einmal eine bestimmte Untersuchung vornehmen? „
Ein ähnliches Gespräch führte er noch mit der Kriminaltechnik.
„Bis Heute Abend haben wir die Ergebnisse, und Morgen früh fahren wir noch mal zum Hamm-Anwesen.

Am nächsten Morgen saßen sie im Büro und studierten die erhaltenen Berichte.
„Ja, ich hatte Recht“, meinte Hansen
„Eigentlich unglaublich“, meinte Born „doch wenn man es genau nimmt, springt es einem eigentlich ins Auge“
„Ja, lassen sie uns zu den von Hamms fahren, und die Sache zu Ende bringen. Ach ja, der Staatsanwalt.“
Hansen griff zum Telefon und verständigte den Staatsanwalt, der zusagte hinzu zu kommen.“
Als sie sich erhoben, fiel Hansens Blick auf ein kleines Buch, das auf Borns Schreibtischseite lag.

„Edgar Allan Poe“, sagte er.
„Ja", meinte Born, "ich habe ab und zu einen Sinn fürs Morbide."
Hansen lächelte, doch als sein Blick auf den Titel der Geschichte fiel, erstarrte er wie elektrisiert. So stand er eine Weile und dachte nach.
„Born, „sagte er schließlich, „sie haben grade das letzte Rätsel gelöst. Ich denke, ich weiß jetzt, wo das Testament ist. Kommen sie, wir fahren.Wir müssen vorher noch mit einer bestimmten Person des von Hamm-Haushaltes reden “

Unten im großen Salon waren alle versammelt. Die drei Geschwister, Phillip und seine Frau, die sie unterwegs angerufen hatten, der  Anwalt der Familie, sowie Staatsanwalt Dr. Scholl. An den Türen standen Polizisten.
Hansen und Born kamen herein, und kurz danach Edgar, der Getränke servierte, und sich dann zu den anderen setzte.
„Vielen Dank, das sie erschienen sind“, begann Finn Hansen „Ich möchte mit ihnen nun den Tod von Albrecht von Hamm aufklären.“

„Sehen sie, es ist nicht so, dass wir hier einen Mangel an Verdächtigen haben. Albrecht hat sich, so wie ich es sehe, alle Mühe gegeben, sich möglichst viele Menschen zum Feind zu machen. Er hat seine Familie wie ein Tyrann regiert, und jedes Mitglied hätte wohl mehr als genug Grund gehabt, ihn zu töten.
Ich war schnell der Meinung, dass der Mann der Schlüssel zur Lösung des Falles  ist, und die Gespräche, die ich mit seinen Angehörigen, gleichsam den Verdächtigen geführt habe, bestätigten mir dies.

 Ich hatte aufgrund des Charakters des Toten eine Vermutung, die noch verstärkt wurde, durch ein Gespräch mit seinem Hausarzt, bezüglich der Medikamente, die ich in seiner Wohnung fand.
Wussten sie, das ihr Vater, respektive Onkel, unheilbar Krebskrank war?“
Die Familienmitglieder schüttelten überrascht die Köpfe
Hansen lächelte
„Das habe ich mir gedacht. Aber das war eine entscheiden Erkenntnis, auch die Tatsache, dass die Packung mit dem Beruhigungsmittel fast leer war, obwohl er sie erst vor zwei Tagen bekommen hatte. Das bedeutet, er musste eine größere Menge für einen bestimmten Zweck gebraucht haben.Wofür?

 Nun, wie gesagt, der Mensch Albrecht von Hamm sagt es uns .Von Hamm war ein Narzisst mit sadistischen Neigungen. Er war herrsch- und kontrollsüchtig, und liebte es seine Kinder und seinen Neffen herum zu kommandieren, und ihr Leben zu kontrollieren. Wo es ging, schikanierte und demütigte er sie .lies sie ihre Abhängigkeit von ihm spüren.
Und mit allen mitteln versuchte er die Ehe zwischen seinem Neffen Phillip und Lena Holzek zu verhindern. Dabei war ihm nichts zu schäbig.

Aber dann passierte etwas für ihn unfassbares. Phillip und Lena hatten hinter seinem Rücken heimlich geheiratet. Stellen sie sich vor, was das für solch einen Menschen bedeutet. dieser herrsch- und kontrollsüchtige Mensch musste feststellen, wie sich eines seiner Opfer seiner Kontrolle entzog. Das warf ihn aus der Bahn. denken sie sich nun noch dazu, dass er tot krank war, und höchstens noch drei Monate zu leben hatte.
Ein so narzisstischer Mensch  wird in solch einem Fall nicht plötzlich versöhnlich und akzeptiert seine Niederlage.

Nein, viel mehr wollte er noch im Sterben eine Demonstration seiner Macht geben, und Phillip für seine Unverschämtheit bestrafen, und dazu ersann er einen Plan, den man direkt teuflisch nennen kann.“
„Ich verstehe nicht ganz“, meinte Paul. „wie soll er das gemacht haben?“
„Ist ihnen das noch nicht klar? Wir haben es hier mit dem ebenso bemerkenswerten, wie ungewöhnlichen Fall eines als Mord getarnten Selbstmordes zu tun.“
Die anderen fuhren hoch
„Selbstmord“

„Ja sicher“, sagte Hansen „Er hätte eh nicht mehr lange gelebt, und er wollte nicht, das Phillip, der sich seiner Kontrolle entzogen hatte, glücklich würde. Was war da nahe liegender, als ihm den Mord an sich selbst anzuhängen?
Dass er Phillip zu sich bestellt hatte, zeigt, dass er mit Vorbedacht geplant hatte. Er lässt sich den Kaffee kurz vor Elf servieren. Kein Problem den Kaffee von Phillip nach dem Eingießen mit einer hohen Dosis Schlafmittel zu versetzen.er bringt die, nun fast leere, Packung zurück ins Bad, wo ich sie fand.Dann wartet er auf seinen Neffen.

Wie geplant schläft Phillip nach der Einnahme schnell ein. Jetzt geht Albrecht an die Umsetzung seines Plans. Er holt die Waffe hervor, die er vorher versteckt gehalten hatte.Dabei umfasst er sie mit dem Seidentuch, das nachher am Boden lag. Er drückt sie dem schlafenden in die Hand, umfasst sie und Phillips Hand, und seinen Finger am Abzug, und hält sie sich vor sie Brust. so...“ er führte es vor „...und drückt ab. Dabei hat er jenes triumphierende, bösartige Lächeln im Gesicht, das er auch noch im Tod hatte. Peng, der Onkel ist tot, und der Neffe  wird mit der Mordwaffe in der Hand gefunden“
Eine Pause entstand.

"Wenn sie jetzt fragen, ob ich das beweisen kann, oh ja. Ich habe Albrechts Leiche, speziell seine Hände auf Schmauchspuren untersuchen lassen. Sie wiesen welche auf, womit bewiesen ist, das er abgedrückt hat. auch das Seidentuch enthielt welche, und damit nicht genug, ich habe auch die Waffe noch einmal untersuchen lassen. Auf dem Magazin waren nur Albrecht von Hamms Fingerabdrücke. Er musste sie also geladen haben, und das wird er gewiss nicht getan haben, damit ihn jemand anders erschießt.

Und darüber hinaus haben wir sogar sein Geständnis. Es gibt nämlich eine Person, die sein volles Vertrauen genoss. Diese Person ist Edgar Jente, sein Diener. Bevor wir diese Versammlung abhielten haben wir mit ihm gesprochen, und er hat uns gestanden, das der alte ihm einen Brief hinterlassen hatte, in dem er alles erklärte, und ihn bat, noch etwas zu tun, nämlich den Einbruch im Arbeitszimmer vor zu täuschen, indem er das Türschloss beschädigte , und den Tresor öffnete, dessen Kombination ebenfalls im Brief stand. Aber das Testament war gar nicht im Tresor nicht wahr?“

Edgar nickte.
„Nein, er hatte es vorher schon versteckt. Der gute Edgar ist eine treue Seele, daher hat er getan, was sein Herr wollte. Das verschwinden des Testamentes sollte Verwirrung stiften und Zwietracht unter den Geschwistern sähen. Noch im Tod wollte er sie triezen. Doch Edgar hatte so viel Gewissen, das er doch nicht dafür verantwortlich sein wollte, dass ein Unschuldiger ins Gefängnis geht. daher es uns zusammen mit dem Brief übergeben.“

„Aber wo ist denn jetzt das Testament?“, fragte der Staatsanwalt.
„Oh, wir haben es schon gefunden, und das ist Kriminalmeister Born zu verdanken. Er las nämlich ein Buch  mit Geschichten von Edgar Allan Poe. Und der Titel war „Der entwendete Brief“, indem es um eine geniale Versteck-Idee ging. Das Buch erinnerte mich daran, das ja auch Albrecht von Hamm Werke von Poe in seinem Regal hatte, und mit Sicherheit würde auch diese Geschichte dabei sein, und hatte ihn inspiriert.

„Aber wo?“, wollte der Anwalt wissen.
„Ja, wo kann man einen Brief am Besten verstecken? Das beste und genialste Versteck ist- zwischen vielen Briefen!
So war es auch in der Geschichte. Der gesuchte Brief lag offen zwischen einem Stapel anderer Briefe auf einem Schreibtisch. Ich erinnerte mich an die Briefe im Eingangsschuber, und dort fand ich es."
 Er zog den gelben Umschlag aus der Tasche, und reichte ihn Dr. Stach.
"Er ist an sie gerichtet. Ich habe ihn geöffnet, um sicher zu gehen. Es ist das Testament. Ich habe es aber nicht gelesen. Damit ist der Fall abgeschlossen, und wir dürfen uns zurück ziehen.“

Der Rest ist schnell erzählt. Albrecht von Hamm hatte seine Angehörigen doch nicht enterbt, oder nicht vollständig. Sie erhielten die Firmengruppe jeweils zu gleichen Teilen. Die Hälfte des Geldvermögens wurde zu gleichen Teilen an die drei Kinder und den Neffen verteilt, die andere Hälfte ging an eine Stiftung.
Um auf der einen Seite den Ruf der von Hamms zu schützen, und auf der anderen Seite Phillip rein zu waschen, der mit seiner Lena sehr glücklich wurde, stellte man das Ganze in der Öffentlichkeit als Unfall dar.
Das war die Geschichte des Todes von Albrecht von Hamm.