Die diesjährige Gruselstory zu Halloween(dafür diesen Sonntag kein Post).Hinweis:diese Geschichte ist nicht übermäßig blutrünstig,aber trotzdem nichts für Kinder.Also dann gruseliges Vergnügen!
Gott, war das schon so lange her? Fast 30 Jahre, kaum zu
glauben! Nun fuhr er die Landstrasse entlang, nach Sandersiel. Zum ersten Mal,
seit damals.
Rings herum Weiden, Wiesen und Felder, abgelöst von
Moorlandschaft. Flach, wild, herb, das war Friesland, Das war die Nordseeküste.
Rotorange ging hinter dem Deich die Sonne unter, auf den er
zu fuhr. Kleine Dörfer tauchten,auf, waren schnell durchfahren ,und gingen wieder in die Landschaft über . Hier
und dort tauchte ein Bauernhof an seiner Seite auf.
Er war hier geboren worden und hatte seine ersten
Lebensjahre hier verbracht. Doch dann ,er war kaum drei Jahre alt, änderte sich
alles, mit dem Tod seiner Eltern, von dem er nicht mehr viel wusste.
Vielleicht war das auch ein Grund ,warum er nach Sandersiel
zurück kehrte. Er wusste nur noch ,das
er zunächst auf den Nachbarhof kam, und
dann zu einer Pflegefamilie nach Bremen, wo er aufwuchs. Die Stadt war Carsten
Joorn zur zweiten Heimat geworden.
Er hatte sich dort eine Existenz aufgebaut, hatte Kunst
studiert und gerade eine Galerie eröffnet. Kurz sah er sich im Spiegel an. Ein
ebenmäßiges, längliches ,leicht gebräuntes
Gesicht mit Grübchen unter dem Kinn, einer etwas großen Nase und blauen
Augen, das von welligem dunkelblonden
Haar umrahmt war. Er war fast Einsneunzig groß und schlank.
Die ersten Häuser, und die Ortseinfahrt von Sandersiel kamen
in Sicht. Wie in vielen anderen Orten auch ,hatte sich einiges verändert, aber
irgendwie war hier doch die Zeit stehen geblieben. Das merkte er, je mehr er
in Richtung Stadtmitte fuhr, und dort
lag erst einmal sein Ziel: das Rathaus.
Ein paar Minuten später hatte er es erreicht. Er stellte
seinen Wagen auf einem Besucherparkplatz ab, und betrat das alte Gebäude ,das
sich ,seit er weg war, scheinbar gar nicht verändert hatte. Drinnen allerdings
hatte man die Einrichtung, wo es nötig gewesen war, ein wenig modernisiert, hatte
dies aber zurückhaltend getan, um den nostalgischen Charakter des Gebäudes zu
erhalten. Auf einem Ständer lag ein Stapel Zeitungen. Er betrachtete das
Titelblatt, die Zeitung war von Heute, und es handelte sich um ein Lokalblatt.
Er sah ein großes Foto von Polizisten und Hilfskräften, die einen Leichnam
bargen. Darüber die Überschrift: “Vermisster
Wattwanderer aufgerissener Kehle aufgefunden“ darunter ein Untertitel: “Zweiter Todesfall nach der Leiche vom Deich“ Warum hatte er plötzlich ein Bild seiner
toten Eltern im Kopf ? Er wandte sich von der Zeitung ab, schüttelte den Kopf,
um die Bilder los zu werden, und ging ins Büro des Stadtamtes, wo man ihn schon
erwartete.
*
„Herr Joorn, herzlich willkommen in Sandersiel“, begrüßte
ihn Bürgermeister Franz Scheerboom, der auch der Immobilienverwalter war. Er
war ein mittelgroßer beleibter Mittfünfziger mit hoher Stirn und grauem Haarkranz.
„Schön, das sie es einrichten konnten. Ich hoffe,sie hatten
eine gute Fahrt“
„Ja, ganz angenehm“, meinte Carsten.
„Schön, schön. Ja, wir hatten ihnen ja geschrieben, das sie
Erbe ihrer Eltern, und damit ihres Hauses hier im Ort sind. War übrigens gar
nicht so leicht sie zu finden. Wir hatten nur die Adresse der Pflegefamilie ,in
die sie gekommen waren. Danach verlor sich ihre Spur. Ja, das Haus wurde
während der ganzen Zeit so weit es ging instand gehalten. Das eine oder andere
musste erneuert werden. Es ist sicher nicht im Idealzustand, aber es ist
bewohnbar.“
„Vielen Dank. ich werde mir ansehen, und dann entscheiden,
ob ich einziehe, oder es verkaufe.“
„Ja, dann hier…“, er öffnete seine Schreibtisch-Schublade,
und entnahm ihm einen Gegenstand, „…ist der Schlüssel“ er langte ihn rüber, und
Carsten nahm ihn.
„Danke“. Er betrachtete kurz den Schlüsselbund, den der
Bürgermeister ihm ausgehändigt hatte.
„Sagen sie, Ich habe draußen in der Zeitung diesen Bericht
gesehen über die Wattwanderer gesehen. Man muss sich doch keine Sorgen machen?“
Scheerboom wurde sichtlich Nervös.
„Nicht doch. bisher ist es noch gar nicht klar ,ob es ein
Mord war. Die Obduktion läuft noch, auch
bei der anderen Leiche. Aber es kommt immer wieder mal vor ,das Wattwanderer
hier verunglücken, weil sie die Risiken falsch einsetzen. wir empfehlen immer
einen Wattführer.“
Carsten schien es ,als wäre Scheerboom selbst nicht von dem
überzeugt, was er sagte.
Der Bürgermeister erhob sich, nahm sich eine Aktentasche,
steckte ein paar Dokumente hinein,und kam um den Schreibtisch herum zu ihm.
„So, und nun lassen sie uns zum Haus fahren. Ich fahre
voraus, und führe sie.“
Carsten wusste in etwa noch ,wo das Haus sein musste, aber
allein hätte er doch nicht hin gefunden, so war ganz froh ,hin geführt zu
werden.
Als sie das Büro verließen, stand ein Mann in der
Eingangshalle, dem man von fern schon den alten Seebären ansah. Er war recht
groß, von kräftiger, sehniger, Statur, und der leicht breitbeinigen Haltung,
die man von Seeleuten kennt.
Er musste schon über Achtzig sein. Sein Gesicht war von
Falten tief durchfurcht und vom Wetter gegerbt, mit einem breiten Mund, einer
Adlernase, die wohl schon einmal gebrochen gewesen war ,und leicht schief
wirkte, und wasserhellen, blauen Augen.
Er hatte volles, weißes Haar, auf dem eine alte
Schiffermütze saß. Seine faltigen Hände wirkten wie Schaufeln.
Bekleidet war er ebenfalls wie ein Seemann. Eine starke,
schwarze Leinenhose ,darüber ein dunkelblaues Hemd ,und darüber eine schwarze
Teerjacke. Die Füße steckten in derben schwarze Lederstiefeln.
Als die beiden heran gekommen waren, fasste der Alte Carsten
scharf ins Auge.
„Du bist also doch gekommen. Hättest bleiben sollen, wo du
warst. Wenn dir dein Leben und dein
Verstand lieb sind, dann verschwindest du wieder von hier.“ Seine Stimme war
tief und klang voll und klar.
„Verschwinde hier Michel, und verbreite deine
Schauergeschichten woanders“
Der Alte griff in seine Tasche , zog eine alte
Meerschaumpfeife heraus, und wies mit dem Mundstück auf die Zeitung. Sein
Gesicht verzog sich zu einem Grinsen.
„Will er dir erzählen, das seien Unfälle gewesen?“
„Was soll es denn sonst gewesen sein?“, murrte Scheerboom.
„Glauben sie nicht, das es Unglücksfälle waren, Herr…“
„Behrend, Michel Behrend .Alle wissen was es war, aber sie
wollen es nicht wahrhaben.“
„Was wollen sie nicht wahr haben?“
„Dieses Dorf ist verflucht“, sagte Michel, und sein Gesicht
war wieder ernst „Es ist der Tod aus dem Watt, der sich diese Beiden geholt
hat, so wie er es vor Dreißig Jahren mit deinen Eltern tat. Und er wird sich
noch mehr holen“
„Moment mal, was wissen sie von meinen Eltern? Hören sie…“
Aber der Bürgermeister hatte ihn weg gezogen.
„Also, er weiß gar nichts von ihren Eltern. er erzählt gern
Schauergeschichten, das ist alles“
Nein, nein. Wenn es die Möglichkeit gibt, zu erfahren, was
mit meinen Eltern passiert ist…“
„Dann weiß er es sicher nicht“
„Sicher?“, Carsten drehte sich um, aber der Alte war
verschwunden.
„Sehen sie?“, meinte Scheerboom. „Kommen sie, lassen sie uns
zum Haus fahren.“
Carsten ging mit, doch er war aufgewühlt, und mit einem
mulmigen, unheimlichen Gefühl, bestieg er sein Fahrzeug, und folgte dem des
Bürgermeisters.
*
Das Haus lag am Ende eines schmalen Weges, der von der
Hauptstrasse Richtung Meer führte. Es war ein altes Gutshaus, das direkt hinter
dem Deich lag.
Auf der Rückseite führte eine Holztreppe den Schutzwall
hinauf, über den man zum Wasser gelangte.
Die letzten Sonnenstrahlen tauchten alles in rotgoldenes
Licht.
Sie betraten das Haus durch den Haupteingang. Es war
ländlich eingerichtet Roh wirkende Bauernmöbel. Holzschränke, Tische und Bänke.
Stühle aus Holz und Reet.
Die Küche funktionell, mit Kühlschrank, Gasherd, Spüle und
Eckbank.
Das Wohnzimmer war alt, aber gemütlich eingerichtet. Eine
große Eichenschrankwand, Leder-Sitzgruppe, und ein wuchtiger Couchtisch aus
Eiche. Den alten Fernseher würde er wohl gegen etwas zeitgemässeres
austauschen, wenn er denn hier blieb.
Im Obergeschoß befanden sich die Schlafzimmer mit einfachen
Bauernbetten.
Nach dem Rundgang
,nahmen sie kurz im Wohnzimmer Platz.
„So, nun haben sie gesehen, das das Haus in annehmbaren
Zustand ist. Wenn sie mir den Empfang und die Bewohnbarkeit quittieren, wäre
ich schon wieder weg.“
Er entnahm seiner Aktentasche zwei Blätter Papier ,legte sie
vor ihn hin, und drückte ihm eine Füller in die Hand. Carsten las sich die
Dokumente aufmerksam durch, und unterschrieb sie. Scheerboom steckte sie
befriedigt wieder in seine Tasche, dann stand er auf, und Carsten brachte ihn
zur Tür.
„Ach,wenn ich ihnen noch einen Tip geben darf, schenken sie
Michels Schauermärchen keine Beachtung. Sie können hier beruhigt schlafen, und
Morgen sehen wir uns in meinem Büro wieder.“ Sie verabschiedeten sich ,und er
ging.
Carsten ging durch´ s Haus, und sah sich um. Dann beschloss
er in den Garten zu gehen. Verwundert stellte er fest, das der gar nicht so
verwildert wurde ,wie er erwartet hatte. Auch ihn hatte man gepflegt. Mittlerer
Weile setzte die Dunkelheit ein, aber beschloss noch kurz auf den Deich zu
gehen. Die Holztreppe war feucht, aber nicht morsch. Er ging die Stufen hoch
und stand schließlich auf dem Deich.
Von hier aus konnte er weit über das Meer sehen, das sich
jetzt zurück gezogen hatte, denn es war grad Ebbe. Glitzernd lag das Watt vor
ihm unter dem sternenklaren Himmel. Oder fast klar. Als er den Blick nach Links
schweifen lies, sah er eine Nebelbank. Eine kleine nur. Dennoch waberte der
Nebel dicht über- ja, nur über dieser Stelle! Aber er blieb nicht dort. Er
schien sich zu bewegen, und mittendrin war ein Licht, wie von einer Laterne
oder einer Lampe. Und das schien es auch zu sein, denn es schaukelte und
bewegte sich ebenfalls.
Gebannt beobachtete er den Nebel und das Licht, die sich in
der Ferne auf die Küste zu bewegten. Was das oder wer ? Wattwanderer waren doch
so spät nicht unterwegs.
„Du bist also hier geblieben“ Die tiefe Stimme riss ihn aus
seinen Gedanken. Er wandte sich um. Neben ihm stand Michel Behrend.
„Ja, und eventuell bleibe ich auch“., meinte Carsten
trotzig. Ist schließlich mein Haus, und meine Heimat.“
Der Alte lachte rau.
„So, deine Heimat. Sieh mal dort“ Er wies mit der Hand auf
über das trocken gefallene Meer in Richtung des unheimlichen Nebels mit dem
Licht.
„Er kommt. Heute Nacht wird wieder jemand sterben, so viel
steht fest. Wehe dem, der jetzt ins Watt geht.“
„Wer ist das ein Mensch?“
„Kein Mensch. Das ist der Tod aus dem Watt, unser Fluch. Ich
habe dir doch gesagt, dieses Dorf ist verflucht. Und der Fluch bringt den Tod.
Wie es auch vor Dreißig Jahren war, und Dreißig Jahre davor. Alle Dreißig Jahre
kommt er. Darum noch mal: Wenn dir dein Leben lieb ist, geh wieder fort.“
„Was für ein Fluch? Und sie haben meine Eltern erwähnt, was
wissen sie davon, was damals passierte?“
„Oh je, du weißt es wirklich nicht mehr hm? Nun gut, ich
habe dich damals gefunden“, er wandte sich um. dort in eurem Haus. Wimmernd
hast du neben deinen toten Eltern gesessen in ihrem Blut. Er hat sie sich auch
geholt.“
„Wer?“
Der Alte dachte kurz nach, ehe er sagte:
„Drüben am Hafen steht eine alte Fischerkate, Hafenweg
5.Komm Morgen Früh dort hin, dann werde ich dir alles erzählen. Nur eins noch:
Halte dich Heute Nacht fern vom Watt!“
„Aber wieso erzählen sie mir nicht jetzt…“ weiter kam
Carsten nicht, denn aus der Richtung, des unheimlichen Lichts, drang ein schrei
zu ihnen herüber. Unmenschlich, dem Heulen eines Wolfes ähnlich.
Unwillkürlich drehte er den Kopf in die Richtung, aus der
der Ton kam. Dann wandte er sich wieder zu Michel Behrend um, doch der alte Mann war verschwunden.
*
Bürgermeister Scheerboom hatte noch etwas länger gearbeitet.
Jetzt machte er sich mit seinem
Assistenten Rune Jansen auf den Heimweg. Sie schritten durch die jetzt
ausgestorbene Rathaushalle, löschten alle Lichter, um schließlich das Rathaus
zu verlassen.
Jansen öffnete die Tür, und sie schritten hinaus. Es war
schon dunkel, und Nebel sammelte sich vor ihnen.
Jansen zog die Tür hinter sich zu, und wandte sich um. Nun..
wer ist das denn? Auch der Bürgermeister blickte gebannt nach vorn.
Dort stand im Nebel eine riesenhafte Gestalt, fast zwei
Meter groß, mit einem langen, schwarzen Mantel, ein ziemlich altertümliches
Stück, und ziemlich abgerissen, eine derbe, schwarze Hose ,und schwere Stiefel.
Die Hände steckten in Handschuhen. Den Kopf bedeckte ein breiter Schlapphut, so
das man das Gesicht nicht sehen konnte. Nur die Augen ,die orangerot glühten.
In der Linken hielt der Unheimliche eine alte Laterne, in der anderen einen
Hakenförmig gebogenen Malspieker.
„Hallo“, rief der Bürgermeister „Wer sind sie. Ich kenne sie
nicht.“ Keine Antwort.
„Hallo, ich habe sie etwas gefragt!“
Der unheimliche antwortete immer noch nicht. Stattdessen
schritt er langsam auf die beiden Männer zu, und blieb schließlich vor dem
Bürgermeister stehen. Er drehte das Werkzeug in seiner Hand mit der Spitze nach
Oben, und noch ehe einer etwas tun konnte ,stieß er es dem entsetzten Scheerboom
mit unglaublicher wucht in die Brust.
Blut sickerte dem Bürgermeister aus dem Mundwinkel, und aus
der Brustwunde. Der unheimliche Killer drehte das Eisen in der Brust seines
Opfers, was ein hässliches Knacken verursachte, und zog den blutigen Haken
hinaus.
Er wandte sich dem entsetzten Jansen zu, und schwang den
Malspieker direkt vor ihm, so das er ihm die Kehle von Ohr zu Ohr aufriss.
Gurgelnd fasste der getroffene sich an
seinen Hals ,und sein Blut lief ihm durch die Hände. Die Beine versagten ihm
den dienst ,und er stürzte sterbend zu Boden. Den Aufprall merkte schon nicht
mehr.
Der unheimliche betrachtete seine am Boden liegenden Opfer
,dann stieß er einen unmenschlichen ,gutturalen Schrei aus, wandte sich um, und
verschwand, und mit ihm der Nebel.
*
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen, machte sich Carsten
auf den weg zum Hafen. Er hatte nicht viel schlafen können, weil ihm immer
wieder durch den Kopf ging, was ihm Michel eröffnet hatte. Seine Eltern Opfer
eines Mordes? Kein Unglücksfall, wie man es ihm erzählt hatte!
Es war, als wäre er in ein tiefes Loch gestoßen wurden.
Warum hatte man ihm das verheimlicht? Schön, im Kindesalter war es wohl noch
nicht möglich, aber verdammt, er war doch längst erwachsen. Spätestens jetzt
hätte man es ihm sagen müssen.
Der Weg zum Hafen führte am Deich entlang, und ein Stück
durch den Ort. dort, am Hafenweg, der direkt am alten Hafenbecken entlang
führte, standen, wie Perlen auf einer Schnur aneinander gereiht, mehrere alte
Fischerkaten, fast gleich aussehend. Windschief, mit weiß getünchten Wänden und
Reetdach. Vor einigen hingen Netze ausgebreitet, so auch vor Nummer 5.
Er ging zum Haus, und
klopfte an. Die Tür öffnete sich, und Michel Behrend erschien. Er trug eine
graue Arbeitshose und einen dunkelblauen Troyer über einem weißen Hemd.
„Aha, da bist du ja. Komm rein.“ Er trat zur Seite, um den
jungen Mann herein zu lassen.
Innen war alles einfach, fast spartanisch eingerichtet. Eine
schmucklose Diele, in der nur ein paar einzelne Bilder an den Wänden hingen. Der
Wohnraum, in den er geführt wurde, enthielt ein altes Sofa, Sessel, Holztisch,
und auf der Seite zum Fenster hin, eine Küchenzeile mit einem alten Gasherd, auf
dem ein Wasserkessel stand. Auf dem Tisch standen zwei Tee-Gedecke und eine
Kanne.
„Setz dich, du nimmst doch sicher Tee.“
„Gern“ Carsten nahm auf dem Sofa Platz.
In diesem Moment pfiff auch der Kessel. Michel nahm ihn
herunter, und goss das Wasser in die vorbereitete Kanne. Zunächst nur ein wenig
nach ein paar Minuten den Rest. Er ließ noch einmal ziehen, dann schenkte er
den Tee durch ein Sieb ein. Sie tranken vom Tee und Michel zündete sich eine
Pfeife an.
„Gut“, sagte er, und tat einen Zug. „Ich will dir nun alles
erzählen. Es begann im Jahre 1847. Damals war Sandersiel noch ein junger Ort. Ein
Fischerdorf, wie es viele an der Küste gab.
Eines Tages nun, strandete ein Fremder mit einem kleinen Boot
an seiner Küste. Es stellte sich heraus, das er Däne war. Man gab ihm ein
kleines Leerstehendes Haus, und da er handwerklich geschickt war, konnte er
sich mit Gelegenheitsjobs bei den Bauern und Fischern über Wasser halten.
Aber dann kam der Tag, an dem Dorf-Vorsteher Godeke
Scheerboom …“
„Scheerboom?“, fragte Carsten erstaunt.
Michel lächelte.
„Ja, der jetzige Bürgermeister ist sein Nachfahre, oder war
es.“
„War?“
Ach hast du ´s noch nicht mitbekommen? Scheerboom und sein
Assistent wurden Heute Morgen tot aufgefunden. Mit aufgerissener Kehle und
Scheerboom hatte eine große Wunde in der Brust. Ich hatte ja Gestern Abend
gesagt, jemand wird sterben.“
*
Carsten war starr vor Entsetzen, nicht zuletzt angesichts
der kaltblütigen Gelassenheit, mit der der Alte das erzählte.
„Aber weiter“, fuhr Michel fort Scheerboom fuhr eines Tages
für Geschäfte nach Bremen, und da kam es, das er einen Steckbrief sah, der
ihren unbekannten Gast, der sich Harm nannte, getreu dem Original wieder gab.
Da las er, das Harm Kjaerulf als Küstenpirat wegen
verschiedener Verbrechen gesucht wurde ,unter anderem auch wegen Mordes. Wegen
seiner Angewohnheit, mit jenem Werkzeug zu töten, trug er auch den Beinamen „Käpt´n Malspieker.“
Auf seinen Kopf war eine hohe Belohnung ausgesetzt, und
nachdem Scheerboom zurück gekehrt war, und im Dorf davon erzählt hatte,
beschloß der Rat, das man ihn ausliefern, und sich das Geld verdienen wollte. Er
und Vier andere stellten ihm eine Falle. Sie täuschten vor, das es ein Schiff
gäbe, das ihn wieder in die Heimat brächte, und lockten ihn an Bord. Doch es
war ein Schiff der Regierung, und Kjaerulf war rasch von Soldaten umstellt. Als
er Gewahr wurde, das man ihn betrogen hatte ,da sah er auf die Fünf Verschwörer, mit einem blick, der nicht
anders als teuflisch genannt werden konnte. Hoch richtete er sich auf, und rief
: „Der Verrat, der an mir geübt, wird dieses Dorf verfolgen, und seinen
Bewohnern noch bitter Leid tun. Bis in alle Ewigkeit soll mein Fluch auf euch lasten,
und immer, wenn Dreißig Jahre voll sind, werden Fünf von euch diesen
schändlichen Verrat mit dem Leben bezahlen. Ewig sollen dies dorf und seine
Bewohner verflucht sein!“
In diesem Moment riss er sich von den beiden Soldaten los
,die ihn gepackt hielten, sprang auf einen Matrosen zu, entriss ihm den
Malspieker ,den er grad in der Hand hielt, stieß ihn sich in die Brust, und
sprang hohnlachend über Bord.
Die Soldaten und Matrosen konnten an der Reeling sehen, wie
er in den fluten versank, doch sein Leichnam wurde nie gefunden.
Da in den folgenden Tagen, Wochen, Monaten und dann auch Jahren
nichts passierte vergas man schnell die Verwünschung des Piraten, doch nach
Dreißig Jahren wurden tatsächlich fünf Menschen aus dem Dorf grausam ermordet,
und es wird auch von einem Licht im Watt berichtet ,und dem Nebel, der mit ihm
kommt, und seitdem wiederholt es sich alle Dreißig Jahre bis Heute. Und vor Dreißig
Jahren traf es auch deine Eltern.
Ich kannte sie gut, musst du wissen. Du erinnerst dich wohl
nicht mehr daran, das ich auf den knien geschaukelt habe. Na Ja, damals wollte
ich bei ihnen vorbei und nach ihnen sehen. Als ich ankam, war die Haustür weit
offen. Ich ging hinein, und im Wohnzimmer fand ich sie. Tot. Am Boden liegend in ihrem Blut, und
zwischen ihnen hast du gesessen und gewimmert.
Den Rest kennst du .du kamst erst zu Petersens auf den Hof,
und dann nach Bremen zu der Pflegefamilie, wo offenkundig einiges aus dir
geworden ist.
So, nun weißt du alles .Du kannst behaupten,. das das mit
dem Fluch Quatsch ist, aber was du gestern gesehen hast, und die Toten, das
sind Fakten.“
„Aber warum alle
Dreißig Jahre? Warum nicht alle Fünfzig oder so?“
„Das weiß niemand,
das ist eines der großen Rätsel. Aber jetzt habe ich noch was zu tun. Ich muss
noch n´ paar Netze flicken. Ob du
bleibst oder nicht, halte dich nachts fern vom Watt, und gib auf dich Acht. “
*
Mit einem mulmigen Gefühl ging Carsten nach Hause, doch
einem plötzlichen Impuls folgend ging er noch zum Rathaus, und dort, nach
entsprechenden Nachfragen, in die Bibliothek, die ein lokales Zeitungsarchiv
enthielt.
Er studierte die alten Zeitungen, und stellte mit wachsendem
Entsetzen fest, das Michel Recht hatte. Tatsächlich fand er in Zeiträumen von
Dreißig Jahren Berichte über ungeklärte Morde die immer auf dieselbe Art
begangen wurden: Aufgeschlitzt oder erstochen mit einem Malspieker. In einigen
Ausgaben gab es auch Berichte über seltsame Beobachtungen, wie ein Licht im
Watt, und Nebel, der sich bewegte.
Verstört ging er nach Hause, und legte sich ein Wenig hin. Später
erledigte er ein paar Reinigungs- und Ausbesserungsarbeiten, auch um sich
abzulenken.
Nachmittags unternahm er einen Spaziergang am Deich, und
ging dann früh schlafen.
*
Es war mitten in der Nacht, als er durch ein Poltern geweckt
wurde. Er stand auf, zog sich notdürftig an, und ging aus dem Zimmer und zur
Treppe. Langsam schritt er sie runter, doch kurz vor dem ende der Treppe, blieb
er abrupt stehen.
Die Tür stand auf, der Flur war von dichtem weißem Nebel erfüllt,
aus dem sich eine riesenhafte Gestalt heraus schälte. Sie trug einen langen,
schwarzen Mantel, schwere Stiefel, und einen breiten Schlapphut, der kein
Gesicht erkennen lies. Nur rotorange glühende Augen. In der Linken hielt der
unheimliche eine Laterne, in der Rechten einen -Malspieker.
Er schritt auf Carsten zu. Der junge überlegte fieberhaft.
Wohin nur? Aber es gab nur einen Weg, also drehte er sich um, und rannte die
Treppe wieder hinauf. Er hörte die schweren Schritte des Verfolgers, aber wohin
jetzt? Er rannte ins Schlafzimmer, zum Fenster, riss es auf, und lief auf den Balkon.
Die Schlafzimmertür wurde aufgestoßen. Es waren etwa drei Meter nach unten, aber
es gab keine Wahl. Er stieg über den Balkon, und sprang ab. Er kam auf dem Rasen
auf, und prellte sich den Oberschenkel. Stöhnend raffte er sich auf, und sah
nach Oben. Da stand der Unheimliche und sah auf ihn herab.
Er lief los, zum Auto! Also um das Haus herum, doch er
prallte zurück. Da waberte der Nebel, und der Killer kam auf ihn zu , und nun?
Es gab nur einen Weg. Zum Meer .Er rannte los, die Treppe hoch, verfolgt von
den schweren Schritten des Unheimlichen, der ruhig hinter ihm her schritt, so
als wäre er sich seiner Beute bereits absolut sicher. Und diese Beute hieß
Carsten Joorn.
*
Michel Behrend stand auf dem Deich am Hafen, und blickte
aufs Watt, welches das, sich zurück ziehende Meer frei gegeben hatte. Er sah
über den Ort, in die Richtung, in der Carstens
Haus lag. Und sah er den Nebel, und er
sah das Licht.
Er tat einen tiefen Seufzer, dann murmelte er: “Es ist
soweit .nun gut, bringen wir ´s zu Ende.“ Er ging hinunter zu seiner Kate,
schloss alles ab, zog einen Mantel über, und machte sich auf den Weg.
*
Er lief um sein Leben. War über die Salzwiese weg, und stand
vor dem Watt. Verzweifelt sah er sich um, und gewahrte seinen unheimlichen Verfolger,
der ruhigen Schrittes auf ihn zu kam. Er hatte eigentlich keine Chance mehr. Wenn
er nun ins Watt lief, hatte er bald nur noch die Wahl zu ertrinken, zu
erfrieren oder aufgeschlitzt zu werden, aber hatte er eine Wahl? Wohl kaum,
also lief er los ins Watt. Spürte Sand und Steine unter den Füssen. Die Turnschuhe,
die er notdürftig angezogen hatte, waren schnell mit Wasser voll gesogen, und
seine Füße nass. Trotzdem lief er weiter. Verzweifelt, voller Todesangst.
Aber wohin sollte er? Richtung offenes Meer? Dann konnte er
auch gleich stehen bleiben, und den Verfolger erwarten.
Aber Moment, da kam ihm ein Gedanke. Gab es da nicht eine
alte Rettungsbarke in Richtung Hafen? Mit einem Korb in einiger Höhe. Eine Hoffnung,
eine ganz schwache nur, aber die einzige, also änderte die Richtung, und lief
weiter, und achtete nicht auf die Seitenstiche, die er allmählich bekam.
*
Michel Behrend ging
bedächtig den Deich entlang, in Richtung von Carstens Haus .er beobachtete den
Nebel, der jetzt im Watt war. er lenkte seine Schritte darauf zu. Ruhig, gefasst.
Insgeheim hatte er immer gewusst, das dieser Tag kommen wollte. Als er an der
entsprechenden Stelle war, ging er hinunter zum Watt. Entschlossen ,gefasst.
Er betrat das Watt , und blieb stehen. Die Stunde war gekommen.
*
Die Seitenstiche plagten ihn. Die Luft ging ihm aus .Er
mobilisierte seine letzten Kraftreserven, während er hinter sich das rhythmische
Platschen der Schritte seines Verfolgers hörte.
Da kam die Barke in sicht. Los, hol noch mal alles aus dir raus, feuerte er sich in Gedanken
noch einmal selber an. Sicher, er war durchaus nicht unsportlich, aber eine Musterathlet
war er beileibe auch nicht.
Jetzt kam er an der Barke an. Der Unheimliche mochte gut
zehn Meter hinter ihm sein. Er begann mit letzter Kraft hinauf zu klettern, und
kam schließlich oben im Korb an, er kletterte hinein,und kauerte sich zusammen.
Da hörte er das Geräusch: „Klang, klang ,klang“ Sein Verfolger kletterte hoch ,in
dem er sich mit dem Hakenförmigen Werkzeug hochzog.
Aus und vorbei. Lief im Augenblick des Todes nicht immer das
Leben vor dem geistigen Auge ab? Müßig, jetzt noch darüber nach zu denken. Er lehnte
sich zurück, schloss die Augen, und erwartete das Ende.
*
Michel Behrend stand im Watt ,breitete die Arme aus, und
rief laut in die Nacht hinein:
„Harm Kjaerulf, willst du nicht den fünften Verschwörer, der
dessen Stimme damals entscheidend war.? Er ist hier ,komm und hol ihn dir! Hörst
du Kjaerulf ? Komm und hol ihn dir!“
*
Carsten hatte mit dem Leben abgeschlossen .Er hielt die Augen
geschlossen, und erwartete den Schmerz. Erwartete wie es schwarz wurde. Doch es
geschah nichts. Nach ein paar Minuten öffnete er die Augen. Er sah hinunter. Sein
Verfolger war verschwunden. Kein Nebel, gar nichts. Doch unten stieg jetzt das
Wasser. Die Flut lief auf. Dann wohl doch erfrieren? Da, in der Ferne ertönte ein
Schrei, wie er ihn Gestern Abend schon gehört hatte. Er lehnte sich wieder
zurück .Jetzt konnte er nur noch warten, bis eventuell ein Schiff kam, und er
wartete .Kälte und Müdigkeit ließen ihn irgendwann einschlafen.
*
Michel Behrend stand schon mit den Fußknöcheln im Wasser,
die Arme noch ausgestreckt, als ihn plötzlich Nebel umwaberte, aus dem eine
große Gestalt auftauchte, mit schwarzem Mantel und Schlapphut, die Laterne in
der linken, und in der Rechten den Malspieker.
„ah ,da bist du ja“, sagte Michel ruhig.
Der unheimliche trat zu ihm, hob das Werkzeug, und rammte es
dem alten in die Brust. Er sah stockte kurz, und riss dann den Haken wieder
heraus.
Michel sank langsam zu Boden. Mein leben ist gelebt, aber ein anderes muss noch gelebt werden, und
wird gelebt werden. Das war sein letzter Gedanke. So erleichtert starb er
mit einem lächeln auf den Lippen.
Der unheimliche sah auf den Toten herab, den die Wellen der
auflaufenden Flut umspülten, dann stieß er einen gutturalen Schrei uns, wandte
sich ab und ging in Richtung offenes Meer, und mit ihm der Nebel, während er
ging löste er sich langsam auf.
*
„Hey , aufwachen!“ Carsten schlug die Augen auf. Er befand
sich in einer Koje auf einem Schiff. Unter ihm dröhnte der Motor. Über ihm
stand lächelnd ein Seemann mit langem blondem Haar, und ebensolchem Vollbart
in Blaumannhose und Pullover „Has ja man Glück gehabt, das wir
grad an der ollen Barke vorbei gekommen sind.“
Carsten versuchte gequält das Lächeln zu erwidern, doch er
war noch zu schwach.
Sie brachten ihn an Land, und zunächst zum Arzt. Dort erfuhr
er auch, das man den alten Michel Behrend rot aus dem Meer gefischt hatte, mit
einer entsetzlichen Wunde in der Brust.
Später stand er wieder auf dem Deich hinter seinem Haus .Er überlegte,
ob er hier bleiben sollte. Er könnte
seine Galerie auch von hier aus lenken. Es war inzwischen wieder Ebbe. Jetzt,
im Licht der Sonne wirkte das Watt schön und beruhigend, wie es da glitzernd
vor ihm lag. Es war eigentlich schön hier, und jetzt konnte er in seinem Haus
in Frieden leben. Zumindest die nächsten Dreißig Jahre…